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Auschwitz vor 75 Jahren: KZ-Befreiung durch die Rote Armee

Auschwitz vor 75 Jahren KZBefreiung durch die Rote Armee
Am 27. Januar 1945 befreien russische Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz. Nur noch 7.000 Gefangene sind am Leben. Mindestens 1,1 Millionen Menschen hatten die Nazis dort ermordet.

Stand: 27.01.2020 09:03 Uhr

Am 27. Januar 1945 befreien Soldaten der Roten Armee die Konzentrationslager von Auschwitz. Nur noch 7.000 Gefangene sind am Leben - mindestens 1,1 Millionen Menschen hatten die Nazis dort zuvor ermordet. Seit 1996 ist der 27. Januar Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus - gilt Auschwitz mit seiner grauenhaften Tötungsmaschinerie doch als Symbol für den Holocaust schlechthin.

Anfang 1945 kämpfen sich Soldaten der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front der UdSSR durch das von Nazi-Deutschland besetzte Polen Richtung Westen vor. Die Sowjets hatten mit mehr Widerstand gerechnet, als sie am 27. Januar die Gegend um Auschwitz (Oświęcim) erreichen, mit den riesigen von den Deutschen errichteten KZ- und Industrieanlagen. Doch die meisten Deutschen sind geflohen. Sie hinterlassen viele gesprengte Gebäude - und kilometerlange kaum überwindbare Stacheldraht- und Elektrozäune. "Dahinter standen Hunderte Menschen und schauten auf unsere Soldaten. Sie hatten Angst in den Augen, sie wussten nicht, dass es sowjetische Soldaten waren, dass es Befreier waren." Der russische Kameramann Alexander Woronzow war bei der Befreiung der Arbeits- und Vernichtungslager von Auschwitz dabei. "Was ich dort gesehen und gefilmt habe, war das Schrecklichste, was ich während des Krieges je gesehen und aufgenommen habe", berichtet Woronzow Jahrzehnte später.

Auschwitz: Befreier stoßen auf grauenhaftes Leid
  • Befreiung am 27. Januar 1945: Soldaten der Roten Armee öffnen ein Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. ©  picture alliance / Mary Evans Picture Library

    Tag der Befreiung: Am 27. Januar 1945 erreichen Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Die Szene von der Tor-Öffnung mit jubelnden Gefangenen ist allerdings erst später nachgestellt worden.

  • Der russische Kriegsberichterstatter Alexander Woronzow (l.) steht vor einem Panzer.

    Der russische Kameramann Alexander Woronzow (l.) hat während und nach der Befreiung in Auschwitz gedreht. Dass manche Aufnahmen im Nachhinein inszeniert wurden, erklärt Woronzow mit technischen Problemen wie fehlender Beleuchtung - und dem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand vieler Gefangener.

  • Kinder in Häftlingskleidung werden nach der Befreiung 1945 aus dem KZ Auschwitz geführt. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

    Etwa 7.000 Menschen befinden sich bei der Befreiung durch die Rote Armee in den Lagern - unter ihnen viele Kinder. Mindestens 1,1 Millionen Menschen hatten die Nazis zuvor in Auschwitz umgebracht.

  • Schüler im Stammlager Auschwitz. Schriftzug über dem Stammlager Auschwitz

    Die Geschichte des NS-Lagers im besetzten Polen beginnt 1940. Zunächst baut die SS in Auschwitz eine frühere Kaserne um und nutzt die Anlage zur Internierung von polnischen Kriegsgefangenen. Es entsteht das sogenannte Stammlager mit dem "Arbeit macht frei"-Schriftzug über dem Tor.

  • SS-Reichsführer Heinrich Himmler (vorne links) besichtigt mit einem Repräsentanten der IG Farben und SS-Offizieren die Baustelle eines Werks des Chemie-Unternehmens bei Auschwitz - dort mussten KZ-Häftlinge arbeiten. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

    Innerhalb kurzer Zeit erweitern die Nazis ihre Pläne. Es entstehen zusätzliche Lager für Zwangsarbeiter. 1941 besichtigt der Reichsführer SS, Heinrich Himmler (l. vorne), gemeinsam mit Lagerkommandant Rudolf Höß (r. vorn) und Vertretern des Konzerns IG Farben die Baustelle eines Chemiewerkes in der Nachbarschaft.

  • Blick auf Baracken und Zäune des Konzentrationslagers Auschwitz. © picture alliance / Mary Evans Picture Library

    Ende 1941 beginnt der Bau von Auschwitz-Birkenau. Zunächst ist das Außenlager für sowjetische Kriegsgefangene gedacht. Doch bald wird daraus das größte Vernichtungslager des NS-Staates - und der wichtigste Ort der "Endlösung".

  • Juden auf dem Bahnsteig von Pithiviers (südlich von Paris) vor ihrer Deportation nach Auschwitz, aufgenommen vermutlich im Mai 1942. © dpa - Bildarchiv

    Denn ebenfalls 1941 beginnt die massenhafte Deportation von Juden aus den deutschen Einflussgebieten. Die ersten Züge kommen aus Polen und der Slowakei. 1942 starten, wie hier, auch in Frankreich die Transporte mit Ziel Auschwitz.

  • Aus einem mit Stacheldraht gesicherten Viehwaggon blicken drei Menschen - undatiertes Bild von der Ankunft neuer Opfer in Auschwitz. © picture-alliance / United Archives/TopFoto

    Mitte 1941 hatten die Nazis die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen - durch die Ausnutzung der Menschen als Arbeitssklaven oder ihre Ermordung. Bis dahin galt die Vertreibung in unwirtliche Gebiete in Sibirien oder Afrika und eine daraus folgende "natürliche Dezimierung" als Ziel.

  • Jüdische Deportierte aus Ungarn stehen vor Bahnwaggons, mit denen sie gerade im Todeslager Auschwitz-Birkenau angekommen sind. © picture alliance / AP Photo

    Das Lager Auschwitz erhält durch diese Entscheidungen ein neues Gesicht. Bis dahin waren nur Männer in das KZ gebracht worden. Nun sind auch viele Frauen und Kinder unter den Neuankömmlingen.

  • Gegenstände aus dem Besitz neu in Auschwitz eingetroffener Häftlinge werden nach Dingen durchsucht, die der SS im Lager zur Verfügung gestellt werden. ©  picture alliance / Mary Evans Picture Library

    Ihre Habseligkeiten werden den Deportierten gleich nach der Ankunft abgenommen. Einen Teil davon behält die SS-Mannschaft für sich. Heute sind Töpfe, Schuhe und Koffer der Opfer in Ausstellungen der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen.

  • Neu angekommene Häftlinge auf der Todesrampe im KZ Auschwitz, links Frauen und Kinder, rechts die Männer. Vor ihnen stehen SS-Leute. © picture-alliance / dpa

    Die "Todesrampe": In Auschwitz-Birkenau werden die Ankommenden nach Geschlechtern getrennt und "selektiert". SS-Ärzte entscheiden, wer zunächst Arbeitssklave wird oder wer so rasch wie möglich sterben soll.

  • Ausgemergelte Männer liegen dicht an dicht in Holzkojen - Aufnahme von 1944 aus einer Gefangenen-Baracke in Auschwitz. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

    Die, die zunächst weiterleben dürfen, sind lebende Tote. Sie erhalten trotz härtester Arbeit kaum Nahrung, sind in überfüllten Unterkünften untergebracht. Sie verhungern, erliegen Krankheiten, sterben bei der Arbeit. Viele werden von sadistischen Wärtern getötet oder bei Strafaktionen - etwa zur Vergeltung von Ausbruchsversuchen anderer Häftlinge.

  • KZ Auschwitz: Eine Gruppe jüdischer Frauen, in Kittel gekleidet und kahlgeschoren, wird weggeführt. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

    Frauen, die im KZ als "für die Arbeit verwertbar" angesehen werden, müssen sich die Haare scheren lassen. Auch den Toten werden die Haare abgeschnitten. Auschwitz liefert Tausende Kilogramm Menschenhaar als Rohstoff für Textilien.

  • Ein Gruppe Häftlinge bewegt sich nach der Selektion zum Krematorium im KZ Auschwitz. Die Menschen hatten zuvor nach ihrer Ankunft im KZ auf der Todesrampe nach Geschlechtern getrennt Aufstellung nehmen müssen. Dann folgte die Selektion. (Undatierte Aufnahme). © dpa - Bildarchiv

    Als die "Todesfabrik" von 1942 an auf "Hochtouren" läuft, sind etwa 80 Prozent der Neuankömmlinge in Auschwitz für die sofortige Ermordung bestimmt. Den Menschen wird gesagt, dass sie in dem Gebäude, in das sie hier geführt werden, desinfiziert werden sollen ...

  • Eine Frau und kleine Kinder gehen entlang eines Zaunes im NS-Todeslager Auschwitz-Birkenau - Aufnahme von 1944. © picture alliance / AP Photo

    ... doch die Alten und Kinder auf diesen Fotos sind auf dem Weg in die Gaskammer. In wenigen Minuten werden sie in einen Raum gesperrt sein, in den die Nazis das für Menschen tödliche Insektenvernichtungsmittel Zyklon B einleiten.

  • Das Krematorium II in Auschwitz-Birkenau, kurz bevor es im Winter 1942 in Betrieb genommen wurde. © dpa - Bildarchiv

    Die Nazis betreiben in Auschwitz gleich mehrere solcher Tötungsanlagen. Sie bestehen jeweils aus gasdichten Räumen und einem angeschlossenen Krematorium.

  • Häftlinge des

    Wenn die Opfer tot sind, müssen andere Häftlinge die Leichen aus den Gaskammern holen. Bevor sie die Toten in die Verbrennungsöfen schieben, müssen sie ihnen Goldzähne heraus brechen, Prothesen entfernen und den Opfern die Haare scheren.

  • Postkarte eines Kindes aus Auschwitz:

    Die KZ-Verwaltung lässt einige Häftlinge Postkarten schreiben, die zum Beispiel an ihre Angehörigen in jüdischen Ghettos gehen. Der Text wird den Gefangenen diktiert. Teilweise müssen sie die Karten vordatieren. Als sie beim Empfänger ankommen, sind die Absender bereits ermordet.

  • SS-Offiziere und Helferinnen posieren bei einem Ausflug in der Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz für ein Erinnerungsfoto - Aufnahme vermutlich von 1944. © picture-alliance/ dpa

    Etwa 6.500 SS-Leute arbeiten von 1940 bis 1945 in Auschwitz. Viele von ihnen leben dort mit ihren Familien. Auf Ausflügen in die Umgebung entspannen sie sich. Ihre Kinder besuchen in Auschwitz Schule oder Kindergarten, während in geringer Entfernung Gleichaltrige in die Gaskammern geführt werden.

  • Luftaufnahme des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, fotografiert am 14. Januar 1945 von der alliierten Luftaufklärung. © picture alliance / akg-images

    Von 1944 an sind die industriell genutzten Außenlager von Auschwitz mehrfach Ziel alliierter Bombenangriffe. In diesem Jahr werden aber noch Hunderttausende Juden nach Auschwitz in den Tod geschickt. Der jüdische Weltkongress bittet Briten und Amerikaner, die Gaskammern zu bombardieren, um das Morden zu beenden. Es geschieht nicht - warum, bleibt unklar.

  • Schneebedeckter Schutt vor Zäunen und Baracken: Die Nazis hatten das Krematorium in Auschwitz-Birkenau vor der Befreiung durch die Rote Armee vernichtet. © dpa - Bildarchiv

    Im November 1944 beginnen die Nazis damit, Auschwitz zu räumen. Sie schicken Zehntausende Häftlinge auf Todesmärsche Richtung Westdeutschland. Möglichst viele Beweise für den Massenmord versuchen sie zu vernichten. Vor der Ankunft der Roten Armee zerstört die SS Krematorien in Birkenau.

  • Kinder in Häftlingskleidung hinter einem Stacheldrahtzaun - 1945, kurz nach der Befreiung des KZ Auschwitz. ©  picture alliance / AP Photo

    Die SS wollte auch diese Kinder, Opfer der Menschenversuche von KZ-Arzt Josef Mengele, eigentlich noch töten. Doch dann dröhnen russische Flugzeuge über dem Lager und in der Nähe brechen Gefechte aus. Statt ihren Befehl zu vollstrecken und die letzten Insassen zu ermorden, fliehen die verbliebenen Nazis. Die Gefangenen sind für kurze Zeit sich selbst überlassen.

  • Menschen umarmen sich und schütteln sich die Hände: Befreiung des KZ Auschwitz durch die Sowjetarmee am 27. Januar 1945. © picture-alliance / United Archives/TopFoto

    Dann treffen die Sowjet-Soldaten ein. Auch auf diesem Bild ist das Ereignis allerdings später nachgestellt worden. Für die Russen ist Auschwitz im ersten Moment bloß ein weiteres vom Nazi-Terror befreites Lager. Das Ausmaß der dortigen Vernichtungsmaschinerie wird erst nach und nach klar.

  • Ein sowjetischer Militärarzt untersucht kurz nach der Auschwitz-Befreiung einen bis auf die Knochen abgemagerten Häftling aus Wien. © dpa - Bildarchiv

    Und während in Auschwitz die Überlebenden von russischen Militärärzten und Sanitätern versorgt werden, sind SS-Trupps mit 60.000 früheren Gefangenen mitten im Winter auf dem Weg ins Reichsgebiet. Diejenigen, die diese Todesmärsche überleben, sagen später, es sei noch schlimmer gewesen als die Zeit im Lager.

  • Leichname völlig ausgemergelter Menschen liegen auf dem Boden einer Baracke in Auschwitz - Aufnahme von kurz nach der Befreiung im Januar 1945. © picture alliance / akg-images

    Doch auch dort sterben nach der Befreiung noch weitere Insassen. Etwa 220 entkräftete Menschen sind auch trotz ärztlicher Hilfe nicht mehr zu retten.

  • Ein langer Zug von Menschen, die Särge auf den Schultern tragen: Nach der Befreiung von Auschwitz Ende Januar 1945 werden KZ-Opfer zum Begräbnis in einem Massengrab getragen. © dpa - Bildarchiv

    Einige Tage nach der Befreiung gibt es in Auschwitz einen langen Trauerzug. Die Überlebenden tragen Särge zu einem Massengrab. Es dauert viele Jahre, bis die Gesamtzahl der Opfer ermittelt ist. Inzwischen geht man von 1,1 Millionen Ermordeten in Auschwitz aus.

  • Der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höß, in Handschellen. © dpa - Bildarchiv

    Der langjährige Lagerkommandant Rudolf Höß (M.) versteckt sich nach dem Krieg in Norddeutschland. Nach seiner Entdeckung und einer Aussage bei den Nürnberger Prozessen wird Höß mit weiteren Offizieren an Polen ausgeliefert. In Warschau kommt er vor Gericht, Höß wird zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung findet am 16. April 1947 an einem Galgen in Auschwitz statt.

  • Beginn des Auschwitz-Prozesses 1963 in Frankfurt am Main. ©  picture alliance / AP Photo

    Vor einem deutschen Gericht wird Auschwitz erst 1963 im großen Rahmen juristisch aufgearbeitet. 22 Angeklagte stehen in Frankfurt am Main vor Gericht. 17 werden verurteilt, sechs von ihnen erhalten lebenslänglich. Trotz der relativ milden Urteile bewerten Historiker das Verfahren heute als "Wendepunkt der Erinnerung": weil die Deutschen gezwungen wurden, sich mit ihrer bis dahin weitgehend verdrängten Geschichte auseinanderzusetzen.

Mindestens 1,1 Millionen Tote in Auschwitz

Die russischen Soldaten merken bald, dass sich in Auschwitz Grauenhaftes abgespielt haben muss. Sie finden in den Lagern immer mehr Leichen: Verhungerte, Erschossene, Erschlagene - insgesamt etwa 600 Tote. Doch diese Zahl steht in keinem Verhältnis zur Gesamtzahl der Opfer, wie später klar wird.

Denn von 1940 bis 1945 sterben mindestens 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz. Die meisten der Opfer sind Juden, die die Deutschen gleich nach ihrer Ankunft mit Giftgas ermorden und ihre Leichen verbrennen lassen. Andere Insassen des Konzentrationslagers werden zu Tode gefoltert, viele müssen arbeiten, bis sie vor Entkräftung und Hunger sterben. Auschwitz ist die größte "Todesfabrik" der Nationalsozialisten. Und einer der Orte, wo sie die "Endlösung der Judenfrage" betreiben - durch systematischen Völkermord.

Die Opfer von Auschwitz

Ihre Zahl lässt sich nicht exakt angeben. Viele Deportierte wurden in Auschwitz nicht registriert, sondern gleich vergast und verbrannt. Nach dem Krieg vermutete man zunächst 2,5 bis 4 Millionen Tote, da die Nazis die Zahlen offenbar selbst übertrieben hatten. Heute gehen Forscher davon aus, dass mindestens 1,3 Millionen Menschen nach Auschwitz deportiert wurden. 1,1 Millionen von ihnen starben. Etwa eine Million der Getöteten waren Juden. Außerdem kamen mindestens 70.000 Polen, 21.000 Roma, 14.000 sowjetische Kriegsgefangene sowie 10.000 Tschechen, Belarussen und andere Opfer ums Leben.

Die Befreiung - festgehalten im Film

Alexander Woronzow und seine Kameraden drehen die Befreiung von Auschwitz zunächst vom Flugzeug aus, beim Überfliegen der Lager. Denn es gibt noch vereinzelte Kampfhandlungen in der Region, bei denen etwa 230 russische Soldaten ums Leben kommen. Dann entstehen Bilder unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee, Aufnahmen von befreiten Häftlingen, ermordeten Opfern und Beweisstücken der Taten der Nazis in Auschwitz. So finden die Russen dort unter anderem Zehntausende Paar Schuhe, Hunderttausende Kleider und Anzüge sowie mehr als sieben Tonnen Menschenhaare. Die Filmaufnahmen der russische Armee sind bis heute erhalten und in dem deutschen Dokumentarfilm "Die Befreiung von Auschwitz" von 1985 zu sehen, der später noch einmal mit jüngeren Forschungsergebnissen überarbeitet wurde. In der Doku wird auch Woronzow interviewt.

Viele Holocaust-Überlebende sahen aus wie Skelette
Der russische Kriegsberichterstatter Alexander Woronzow (l.) steht vor einem Panzer.

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Kamermann Alexander Woronzow (l.) ist im Januar 1945 bei der Befreiung von Auschwitz dabei.

"Unseren Augen bot sich ein schreckliches Bild: eine riesige Anzahl von Baracken - viele ohne Dächer - auf Pritschen lagen Menschen, Skelette schon, mit Haut überzogen und abwesendem Blick. Es war schwer, sie ins Leben zurückzuholen", erinnert sich Woronzow. Die Deutschen hatten angesichts der erwartbaren Niederlage gegen die vordringenden Russen in einer einzigen Nacht noch 10.000 Häftlinge ermordet und Gaskammern und andere Beweise ihrer Taten zerstört. Sie zwangen Zehntausende Gefangene zu "Todesmärschen" Richtung Westen, um sie in andere Konzentrationslager zu verlegen - zum Beispiel nach Bergen-Belsen. Zurück ließ die SS vor allem solche Häftlinge, von denen man annahm, dass sie ohnehin bald sterben würden. Als die Soldaten der Roten Armee die Auschwitz-Lager erreichen, sind viele der etwa 7.500 dort verbliebenen Häftlinge in einem lebensbedrohlichen Zustand.

Auschwitz: Vom Arbeitslager zur "Endlösung"

Der Befehl, ein ehemaliges Kasernengelände in Oświęcim zum KZ umzubauen, war am 27. April 1940 von Heinrich Himmler gekommen. Der SS-Chef war in Hitlers Reich zuständig für die rasch wachsende Zahl der KZ. Die Kommandantur in Auschwitz übernimmt damals der 39-jährige SS-Hauptsturmführer Rudolf Höß. Ursprünglich ist Auschwitz als Arbeitslager für politische Gefangene aus Polen gedacht. Doch im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wird es zum Sammel- und Tötungslager für Kriegsgefangene aus Russland, zum Industriestandort mit angegliederter Sklavenhaltung. Und zum "Vernichtungslager".

Opfer und Täter: Collage in Bildern und Zitaten

Krematorium und Gaskammer © NDR Foto: Christian Spielmann

Häftling Shlomo Venezia musste in den Gaskammern von Auschwitz arbeiten. Kommandant Rudolf Höß organisierte das KZ. Zwei Perspektiven auf einen Ort der Vernichtung in einer filmischen Collage. mehr

"Kapos": Kriminelle aus Deutschland als Aufseher

Zu Beginn seiner Errichtung ist das Lager "lediglich" für bis zu 10.000 Häftlinge geplant. Erbauen und erweitern müssen es die ersten Inhaftierten selbst: von den Nazis verschleppte Polen, die angeblich für den Widerstand arbeiten. Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind von Anfang an unmenschlich. Von den 20.000 Menschen, die in der ersten Phase im Lager eingesperrt werden, sind nach knapp zwei Jahren mehr als die Hälfte tot. Doch manchmal werden damals noch Häftlinge wieder in die Freiheit entlassen.

Die ersten Gefangenen, die Mitte 1940 in Auschwitz ankommen, sind allerdings Kriminelle aus dem KZ Sachsenhausen in Deutschland. Sie dienen als sogenannte Kapos. Das sind KZ-Aufseher, die die SS immer wieder aus den Reihen der Gefangenen aussucht. Sie sollen "Ordnung" schaffen und erhalten dafür Vergünstigungen. Viele Kapos drangsalieren ihre Mithäftlinge mit äußerster Brutalität.

Das "System" KZ

Lagerkommandant Rudolf Höß hatte als SS-Offizier bereits KZ-Erfahrungen in Dachau und Sachsenhausen gesammelt. Auschwitz "funktioniert" anfangs ähnlich: Die Gefangenen sind ständigem Terror ausgesetzt. Sie wissen oft nicht, warum sie inhaftiert sind, wie lange sie bleiben müssen, ob sie je wieder heraus dürfen. Sie sind zusammengepfercht, müssen härteste Arbeit verrichten, bekommen zu wenig Nahrung. Und sie sind der Willkür ihrer Wärter ausgesetzt.

Es gibt in Auschwitz ein eigenes Gebäude für Strafaktionen, Verhöre und Exekutionen - Block 11. Gefangene werden dort auf brutalste Art gefoltert, um ihnen "Geständnisse" abzupressen. Auch Todesurteile durch Verhungern werden vollstreckt, einen Häftling zu erschießen gilt als milde.

Weitere Informationen

Ausgemergelte Männer liegen dicht an dicht in Holzkojen - Aufnahme von 1944 aus einer Gefangenen-Baracke in Auschwitz. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

Das Leben in den Konzentrationslagern war ein andauerndes Martyrium für die Gefangenen - und endete oftmals mit dem Tod. Der Willkür der SS waren die Häftlinge vollkommen ausgeliefert. mehr

Russische Gefangene: Erster Giftgas-Einsatz

Mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 ändert sich die Struktur des Konzentrationslagers erheblich. Die Nazis verschleppen russische Kriegsgefangene, von denen es heißt, sie würden sich politisch betätigen, nach Auschwitz. Die neuen Häftlinge werden so brutal misshandelt und schlecht versorgt, dass viele von ihnen bald sterben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten SS-Leute und Kapos zwar bereits viele Gefangene ermordet und exekutiert. Doch nun beginnt eine planmäßige und massenhafte Tötung der Insassen. Im September 1941 verwenden die Nazis dabei erstmals das Giftgas Zyklon B, ein Mittel zur Ungeziefervernichtung.

Hintergründe des Holocaust

NDR Kultur - Gedanken zur Zeit - 19.01.2020 19:00 Uhr Autor/in: Münkler, Herfried

Eine Betrachtung von Historiker Herfried Münkler zum millionenfachen Mord an den Juden im Nationalsozialismus.

Die industrielle "Verwertung" der Häftlinge

Das Lager Auschwitz entwickelt sich viel größer als geplant. Ende 1940 hatte das Unternehmen IG Farben, damals der größte Chemiekonzern der Welt, den Bau eines neuen Werks für synthetisches Benzin und Gummi beschlossen - in Auschwitz. Denn dort gibt es gute Bahn-Anbindungen, Rohstoffe - und massenhaft günstige Arbeitskräfte: Die NS-Führung verspricht dem Unternehmen Zwangsarbeiter. Der Bau des Nebenlagers Monowitz für die IG Farben beginnt 1941. Insgesamt entstehen in der Region 47 Auschwitz-Nebenlager und Außenkommandos, um Bergwerke, Industrieanlagen und landwirtschaftliche Betriebe mit Arbeitssklaven zu versorgen.

Ausgebeutet wird nicht nur die Arbeitskraft der Deportierten: Jeglicher Besitz, ihre Kleidungsstücke, selbst Körperprothesen, Goldzähne und Haare "verwerten" die Nazis. Und wie in anderen deutschen KZ finden auch in Auschwitz gezielt medizinische Versuche mit Insassen statt. Besonders berüchtigt - der Arzt Josef Mengele. Er tötet bei seinen Experimenten zahlreiche Menschen. Mengele infiziert Kinder mit tödlichen Krankheiten, amputiert Gefangenen Glieder, schneidet Organe aus ihren Körpern oder lässt sie per Giftspritze ermorden, wenn seine Zwecke es "erfordern".

Rudolf Höß zum Tod in der Gaskammer

"Zuerst kamen die Frauen mit den Kindern hinein, hernach die Männer. Die Tür wurde schnell zugeschraubt und das Gas in einen Luftschacht geworfen. Durch das Beobachtungsfenster konnte man sehen, dass die dem Einwurfschacht am nächsten Stehenden sofort tot umfielen. Die anderen fingen an zu taumeln, zu schreien und nach Luft zu ringen. Das Schreien ging bald in ein Röcheln über, und in wenigen Minuten lagen alle. Eine halbe Stunde nach dem Einwurf des Gases wurde die Tür geöffnet und die Entlüftungsanlage eingeschaltet. Den Leichen wurden nun durch das Sonderkommando die Goldzähne entfernt und den Frauen die Haare abgeschnitten. Hiernach wurden sie durch den Aufzug nach oben gebracht vor die inzwischen angeheizten Öfen."Aussage von Auschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höß

Birkenau: Von der "Juden-Rampe" in den Tod

Im Herbst 1941 entsteht das Außenlager Birkenau. Es wird das größte des Gesamtkomplexes Auschwitz - und bald auch das größte aller Vernichtungslager der Nazis. Nach Birkenau bringen sie die Juden, die sie aus Europa "austilgen" wollen. Im Frühjahr 1942 entsteht die erste Gaskammer, das "rote Häuschen", an einer abgelegenen Stelle des Lagers. Die anderen Häftlinge sollen die Todesschreie nicht hören. Später sind mehrere Gaskammern und Krematorien gleichzeitig in Betrieb, täglich rollen mehrere Züge voller Menschen ein. Viele Neuankömmlinge in Birkenau werden direkt von der "Judenrampe", wie die Nazis den Bahnsteig nennen, in die Gaskammern geführt. Es sind vor allem Frauen und Kinder und alte oder schwache Männer, die sich aus Sicht der SS nicht als Arbeitssklaven eignen.

Etwa eine Million Juden sterben bis 1945 in den Lagern von Auschwitz. Ihren Höhepunkt erreicht die Mordmaschinerie 1944, als die bevorstehende deutsche Kriegsniederlage der Nazi-Führung längst bewusst ist. Innerhalb von zwei Monaten werden mehr als 400.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz verschleppt.

Grausame Rache für Ausbruchsversuche

Im Lager gibt es immer wieder Ausbruchsversuche. Doch nur wenige gelingen - die besten Flucht-Chancen haben Häftlinge, die in Außenkommandos arbeiten. Die Nazis nehmen dafür grausame Rache. Sie lassen Familienmitglieder und Freunde der Ausbrecher hinrichten oder töten wahllos andere Insassen als Abschreckung. Viele Gefangene werfen sich aus Verzweiflung über ihre Lage gegen die mit Starkstrom tödlich geladenen Zäune des KZ.

Soweit bekannt, gibt es nur einen einzigen bewaffneten Aufstand in Auschwitz: Im Oktober 1944 gehen einige Dutzend Gefangene auf ihre SS-Bewacher los. Mit selbst gebauten Granaten versuchen sie, die Krematoriumsgebäude zu zerstören. Doch nach einigen Stunden schlagen SS-Einheiten die monatelang vorbereitete Aktion nieder. 451 Häftlinge werden sofort hingerichtet. In den Wochen darauf beginnt der Rückzug der Nazis aus Auschwitz. Sie wollen dem Feind nur "verbrannte Erde" hinterlassen.

Nach der Befreiung: 4.500 medizinische Notfälle
Ein sowjetischer Militärarzt untersucht kurz nach der Auschwitz-Befreiung einen bis auf die Knochen abgemagerten Häftling aus Wien. © dpa - Bildarchiv

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Tausende der befreiten Häftlinge müssen dringend medizinisch behandelt werden.

Kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee im Januar '45 erreicht eine russische Sonderkommission das Lager, um die Geschehnisse in Auschwitz zu untersuchen. Sowjetische Ärzte und Krankenschwestern treffen ein, um die Überlebenden zu versorgen, auch polnische Freiwillige aus dem Umland und das polnische Rote Kreuz helfen. Etwa 4.500 Menschen müssen medizinisch behandelt werden, die meisten sind bettlägerig, viele fast verhungert. Unter den Patienten sind etwa 400 Kinder und Jugendliche.

Die Filmleute halten in bedrückenden Bildern fest, wie die Sonderkommission die Schicksale der auf schrecklichste Art misshandelten Menschen dokumentiert. Für 222 von ihnen kommt die Rettung zu spät: Sie sterben noch im Lager an den Folgen von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen.

Das Ende der Nazi-Chefs

NS-Anführer wie Hitler, Himmler und Göbbels nehmen sich gegen Kriegsende oder wie Göring in der Gefangenschaft das Leben. Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, wird erst später gefasst und schließlich 1962 in Israel hingerichtet. Auch Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß kann nach dem Krieg zunächst untertauchen. Doch am 11. März 1946 spüren ihn britische Militärpolizisten in der Nähe von Flensburg auf. Höß kommt in Polen vor Gericht, er wird zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung findet am 16. April 1947 statt, an einem Galgen in Auschwitz.

Aufnahmen als Beweismittel in Nürnberger Prozessen

Die Arbeit der russischen Filmcrew ist angesichts der chaotischen Zustände im Lager schwierig. Anfangs haben sie nicht einmal Lampen für ihre Aufnahmen. Manche Filmsequenzen sind nicht authentisch, sondern werden später nachgestellt - zum Beispiel die Öffnung der Tore von Auschwitz mit jubelnden Gefangenen: In Wahrheit sind die meisten Insassen am 27. Januar viel zu geschwächt, um sich ihren Befreiern in die Arme zu werfen, so wie es später gefilmt wird. Andere von Woronzows Aufnahmen können dagegen später bei den Nürnberger Prozessen als Beweismittel gegen NS-Kriegsverbrecher eingesetzt werden. Und sind heute Bestandteil von Museum und KZ-Gedenkstätte Auschwitz.

Wie die überlebenden Insassen, wird auch Kamermann Woronzow das in Auschwitz Erlebte nie wieder los: "Über diese Erinnerungen hat die Zeit keine Macht. Sie hat aus meinem Gedächtnis all die Gräuel, die ich gesehen und aufgenommen habe, nicht verdrängt."

Weitere Informationen

Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano sitzt im Zuschauerraum im Sitzungssaal des Landgerichts. © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius

1943 verschleppten die Nazis die Jüdin Esther Bejarano nach Auschwitz. Sie überlebte, weil sie im Orchester mitspielte. Heute lebt Bejarano in Hamburg und engagiert sich gegen Neonazis. mehr

Touristen besichtigen das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. © NDR

29:48

7 Tage

7 Tage

Ehemalige Deportationswaggons reparieren, alte Kinderschuhe restaurieren. Arbeit in Auschwitz heißt Arbeit gegen das Vergessen. Wie halten das die Helfer aus? Gibt es Alltag in Auschwitz? Video (29:48 min)

Ein Blumenstrauß liegt in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Oranienburg (Brandenburg) auf einem Stacheldrahtzaun. © dpa bildfunk Foto: Robert Schlesinger

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NDR Info

NDR Info

Es gibt nur noch wenige Holocaust-Überlebende. Manche haben den Wunsch, später dort bestattet zu werden, wo ihre Verwandten ermordet wurden. Doch das ist nicht immer einfach. Audio (04:23 min)

Ein Chor singt. © NDR

Am Gedenktag an die Opfer des Holocaust hat es in Hannover ein besonderes Konzert gegeben. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. mehr

Der ehemalige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höß, in Handschellen. © dpa - Bildarchiv

1946: Der frühere KZ-Kommandant Rudolf Höß wird in einem Versteck bei Flensburg entdeckt. Sein Häscher: ein junger Jude aus Berlin, der nach dem Krieg für die Briten Nazis jagt. mehr

Dieses Thema im Programm:

Aktuell | 27.01.2020 | 07:00 Uhr
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