Justus Strelow: Leiden für die Premieren-Medaille
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analyse
Stand: 12.02.2025 19:14 Uhr
Nicht alle waren sich vor der Mixed-Staffel bei der WM in Lenzerheide sicher, dass Justus Strelow der richtige Schlussläufer für das deutsche Team ist. Sein Debüt auf der prestigeträchtigen Position endete mit Bronze – und Schmerzen.
Von Uri Zahavi und Jonas Schützeberg, Lenzerheide
Er konnte einfach nicht mehr. Es schien, als sei Justus Strelow nicht in der Lage, sich auch nur einen weiteren Zentimeter auf seinen Skiern zu halten. Der Oberhofer ließ sich per Bauchklatscher in den Schweizer Schnee fallen, sein Gesicht schmerzverzerrt. Nur Augenblicke vorher hatte der 28-Jährige die Ziellinie überquert. Hinter ihm und seinem Team lag eine spektakuläre und höchstdramatische Mixed Staffel – an deren Ende Strelow als Schlussläufer Bronze für Deutschland sicherte. "Die Schlussrunde hat wehgetan. Das wünsche ich niemandem, dass er das erleben muss."
Strelow war noch nie so aufgeregt vor einem Rennen
So lag er also im Schnee, der Justus Strelow, und konnte sich nicht mehr bewegen. Über ihm hingen mittlerweile Franziska Preuß und Philipp Nawrath, die auf ihn zugestürmt waren und klopften ihm anerkennend und freudig auf den Oberkörper. Nawrath, der vor Strelow in die Loipe ging, löste sich schnell aus der Situation und begann, Strelows Skier abzuschnallen. Sein Teamkollege war dazu offensichtlich selbst in diesem Moment nicht im Stande. "Es hat trotzdem Spaß gemacht, auch wenn es von Anfang an ein sehr hartes Rennen war", sollte Strelow später sagen.
Es war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Rennen für den besten Schützen der vergangenen Saison. Strelow feierte nämlich eine Premiere: Zum ersten Mal in seiner Karriere ging er auf höchstem sportlichen Level als Schlussläufer einer Staffel an den Start. "Es war eine ganz neue Situation für mich, ich glaube, ich hatte noch nie so weiche Knie beim Einlaufen. Ich war schon sehr aufgeregt", gibt der Sportsoldat einen Blick in sein Innenleben vor seinem Debüt auf der vierten Position. Im Vorfeld wurde unter den Experten durchaus kontrovers über die Aufstellung des deutschen Teams diskutiert. War Strelow wirklich der Richtige auf dieser Position? Er sei zwar ein herausragender Schütze, aber würde das Tempo in der Loipe reichen, um sich der Weltelite zu erwehren?
Ein solider Auftakt wird zur Zitterpartie
Die deutsche Staffel war solide in diese WM gestartet. Vor allem die Frauen zeigten, dass sie zur Weltspitze gehören. Philipp Nawrath hielt das DSV-Team auf Kurs, übergab auf Position vier, die Medaille in greifbarer Nähe.
Beim letzten und entscheidenden Schießen von Justus Strelow hatten sie sich alle versammelt. Selina Grotian versteckte sich halb hinter dem Waffenständer und starrte auf die Leinwand. Auch Franziska Preuß neben ihr blinzelte nicht mehr, sie hatte die Hände vorm Gesicht gefaltet: "Zuschauen ist echt schlimmer als selber auf der Schlussposition zu laufen. Da ist man vorher noch voll im Tunnel und macht dann einfach nur sein Rennen. Es hat mich viele Nerven gekostet."
"Justus hat stehend gerockt"
Philipp Nawrath war gerade mitten im Interview-Marathon in der Mixed-Zone, als auch er erstarrte und die Scheiben von Strelow und dessen Schnellfeuer-Einlage fixierte: "Die Emotionen waren am krassesten, als der Justus nochmal so gerockt hat. Ich war schon ziemlich sicher, dass es langt, und dann wurde es richtig spannend. Aber Justus hat es ins Ziel gebracht und das war Wahnsinn."
Eine Medaille mit zwei Wahrheiten
Zweifelsohne hat Strelow erfüllt, was von ihm erwartet wurde, zwei blitzsaubere, fehlerfreie und vor allem schnelle Schießeinlagen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Justus Strelow auf sechs Kilometern läuferisch über eine Minute auf Johannes Thinges Boe verlor. Glücklich war aus deutscher Sicht, dass die Konkurrenz die Tür zuvor weit aufgemacht hat. So funktioniert eben Biathlon.
Elf Nachlader insgesamt im deutschen Team sind zu viel, aber die Strafrunde wurde vermieden und das war einer der großen Knackpunkte, in diesem Fall sogar der Erfolgsgarant, weiß auch Philipp Nawrath. "Es hat heute einige am Schießstand zerbröselt, der ist wirklich nicht einfach." Getroffen hatte es einen der Topfavoriten, Norwegen, Ingrid Landmark Tandrevold musste gleich zweimal in die Strafrunde, auch die mitfavorisierten Schweden und Italiener erwischte es. Doch das alles war mit dem Zielstrich nichtig, von da ab zählte nur noch die gewonnene Bronze-Medaille.
Kurzärmelig zu WM-Gold
Beinahe erschreckend war die Dominanz der Franzosen, die trotz Strafrunde mit mehr als einer Minute Vorsprung gewannen. Sie wirkten überlegen, gelassen und mit viel Leichtigkeit, keine Spur von Nervosität war vor dem Start zu sehen. Der Titelverteidiger hat eiskalt abgeliefert, mit einem Feuer von innen. Die gesamte Staffel lief im kurzärmeligen Oberteil bei Plusgeraden nahezu leichtfüßig über die schweren Strecken von Lenzerheide. Die WM hat ihren ersten französischen Stempel verpasst bekommen.
"Vielleicht darf ich nochmal auf der Position ran"
Zurück zum deutschen Team: Es gibt so Momente, die sind manchmal fast schon etwas zu kitschig, um wahr zu sein. Als die deutsche Mixed Staffel unter tosendem Applaus der Zuschauer auf der Tribüne in der Arena von Lenzerheide auf das Podium trat, zeigte sich sogleich die Sonne von ihrer strahlendsten Seite an diesem ersten WM-Tag. Preuß, Grotian, Nawrath und Strelow mussten mit der Hand auf der Stirn für Schatten sorgen, so sehr wurden sie geblendet. "Eine Mixed-Medaille ist sehr hoch einzuordnen. Es gibt so viele Nationen, die den Sprung aufs Podium schaffen können. Das ist sehr viel wert", konstatiert Franziska Preuß nach diesem gelungenen WM-Auftakt. Und einer war heute ganz besonders glücklich - klar, der Premieren-Schlussläufer. "Es hat sehr viel Spaß gemacht und vielleicht darf ich nochmal auf der Position ran", gab Justus Strelow zu Protokoll und lachte. Wer weiß, es war ja nicht die letzte Staffel bei dieser WM.