Strafverfahren gegen Dieter Wedel: Ein Nachruf auf die Unschuldsvermutung
Der TV-Regisseur verstarb, ohne dass die Vorwürfe gegen ihn geklärt werden konnten. Ein Versäumnis der Justiz. Ein Kommentar
Jost Müller-NeuhofDer Strafrechtsfall von Dieter Wedel ist mit dem Tod des Regisseurs beendet. Der förmliche Schluss eines unförmigen Verfahrens, das sich nur zum kleineren Teil in der Justiz vollzog. Wedel war der deutsche Vorzeigeverdächtige der #Metoo-Bewegung, analog zu Harvey Weinstein in der US-Filmbranche. Auch ein Freispruch hätte daran vermutlich wenig geändert. Die sorgfältig recherchierten Vorwürfe über sein Fehlverhalten wogen in der Summe schwer.
Bemerkenswert ist, dass mit diesem Schluss niemand gerechnet hat. Als das „Zeit-Magazin“ die Vorwürfe gegen den Fernsehmann 2018 veröffentlichte, ging man davon aus, dass der schwerste Vorwurf – eine Vergewaltigung – wie alle anderen verjährt sei. Ein Irrtum. Weil der Gesetzgeber im Zuge von Missbrauchsskandalen die Verjährungsregeln für bestimmte schwere Sexualdelikte geändert hatte, kam doch noch die Justiz ins Spiel.
Für Wedel war das Verfahren auch eine ChanceFür Wedel, der stets seine Unschuld behauptete, eine ambivalente Situation; einerseits drohte Strafe, andererseits ergab sich die Chance, zumindest diesem schlimmsten Vorwurf in einem Verfahren außerhalb des Medientribunals entgegenzutreten. Die zuständige Staatsanwaltschaft München tat etwas, was Justiz besonders gut kann. Sie ließ sich Zeit. Ihre Pressemitteilung vom März 2021, mit der sie die Anklageerhebung bekannt gab, liest sich wie ein Entschuldigungsschreiben. Die vorgeworfene Tat liege so lange zurück, zahlreiche weitere Erkenntnisse hätten zu immer neuen Ermittlungsschritten geführt, Zeugen im Ausland befragt werden müssen und so weiter. Überzeugen kann das nicht, ebenso wenig wie die lange Prüfung des Gerichts, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen.
Im Wesentlichen handelt es sich um eine Konstellation „Aussage gegen Aussage“, für die Aussagen Dritter nur am Rande eine Rolle spielen können. Dergleichen pflegt man in öffentlicher Verhandlung zu erforschen, weshalb es auch eine Überraschung gewesen wäre, hätte das Landgericht diese abgelehnt.
Entweder wird gar nicht ermittelt oder zu vielNichts gegen gründliche Ermittlungen. Doch es ist kein Geheimnis, dass bei Prominenten (oder Politikern) entweder gar nicht ermittelt wird, weil schon vor Einleitung von Ermittlungen so gründlich geprüft wird, dass vom Tatverdacht nichts übrig bleibt, oder, wenn doch ermittelt werden muss, so ermittelt wird, dass die Ermittelnden keinerlei Vorwürfe riskieren, sie hätten nicht gründlich ermittelt.
Die Ergebnisse solcher Zwänge und Paradoxien sind im Fall Wedel musterhaft zu besichtigen. Hinzukommen dürfte, dass sich die Justiz schon deshalb nicht beeilte, weil die Opfer-Zeuginnen sich lieber an die Medien wandten statt an sie; man wird in München das Gefühl gehabt haben, das eigentliche Verfahren sei gelaufen. Sehr gerecht war das alles nicht. Die gesetzliche Unschuldsvermutung zugunsten Wedels war schon zu seinen Lebzeiten unter Druck geraten. Mit seinem Tod ist sie endgültig wertlos geworden.