Zum Tod von DMX: Gesegnet mit einem Fluch
Um die Jahrtausendwende gab es kaum einen Musiker, der die Rap-Welt so aufmischte – und in seinem Fall meine ich wirklich aufmischte – wie DMX. Seine Rap-Anfänge starteten in den Achtzigerjahren im Gefängnis und brachten ihn auf Bühnen, die so riesig waren, wie man sie sonst von den ganz großen Rockstars kennt, wenn man beispielsweise an seinen gänsehauterregenden Auftritt beim Woodstock-Festival 1999 denkt.
DMX war außerdem ein unangestrengter Schauspieler, veröffentlichte von 1998 bis 2003 fünf Nummer-1-Alben in Folge und verhalf gemeinsam mit seinem Kollektiv und Label »Ruff Ryders« Künstler:innen wie Eve oder The LOX zu größerer Bekanntheit. Sein letztes offizielles Studioalbum erschien 2012, Gerüchten zufolge arbeitete er vor seinem Tod an einem Comeback mit Features von unter anderem Alicia Keys, Snoop Dogg und Bono von U2. Nicht zuletzt war DMX eigenen Angaben zufolge Vater von 15 Kindern.
1992 bekam er einen Plattendeal bei Columbia Records, seine erste offizielle Debütsingle hieß »Born Loser«, auf der er seine zum Teil tieftraurige, aber immer wieder mit künstlerischen Superlativen gespickte Biografie messerscharf und selbstironisch reflektierte. Ausgerechnet dieser Song sollte der erste Türöffner in die Musikindustrie sein, DMX von der Straße holen und ihn später zu einem Rap-Superstar machen, der Generationen nach ihm nachhaltig prägte. Auf »Born Loser« rappt er: »The born loser, not because I choose to be. But because all the bad shit happens to me« also »Der geborene Verlierer, nicht, weil ich es mir aussuche, einer zu sein. Sondern wegen all der bösen Scheiße, die mir passiert.«
»Böse Scheiße« ist eine Bagatellisierung für all das, womit er schon in frühen Jahren konfrontiert wurde. 1970 kam DMX als Earl Simmons in Mount Vernon, New York, zur Welt. Sein leiblicher Vater kümmerte sich nicht, seine Mutter misshandelte ihn, irgendwann wurde er von einem Betrunkenen angefahren. Die zwei konstanten Wegbegleiter seines Lebens waren Musik und Crack. Beides brachte sein früher Mentor Ready Ron, der in den Achtzigern ein lokal recht bekannter Rapper war, in sein Leben. Während DMX unter anderem für ihn beatboxte und seine Liebe für Hip-Hop ausleben konnte, war es tragischerweise ausgerechnet Ron, einer seiner wenigen Vertrauten, der ihm unwissentlich Crack in einen Joint gerollt haben soll – der Beginn einer lebenslangen Abhängigkeit.
Selbst hinter dem unverkennbaren Bellen, DMX' Markenzeichen, steckt eine bedrückende Geschichte. Um den häuslichen Misshandlungen zu entkommen, verbrachte er als Kind nachts viel Zeit auf den Straßen New Yorks und fand Geborgenheit bei streunenden Hunden. Den kehligen Klang setzte er gleichzeitig bewusst wie ungewollt als Stilmittel ein: Seit seiner Kindheit litt er an bronchialem Asthma. Hunde ziehen sich durch DMX' ganzes Werk, ob in Musikvideos, Covern oder sogar als Back-up, indem er seinen Hunden beibrachte, ihn bei Auftritten zu unterstützen.
DMX selbst hat sein Leben als »blessed with a curse«, also gesegnet mit einem Fluch, genannt, und das fasst es ganz gut zusammen. Er war schon immer jemand, der Widersprüche zusammenbrachte, aber dabei natürlich auch nicht frei von Fehlern war. Während er gläubiger Christ war und immer wieder darüber rappte, wie er nach Erlösung suchte oder sich in Songs wie »Lord Give Me A Sign« ein göttliches Zeichen erhoffte, schrieb er beispielsweise auch Texte über Nekrophilie. Wir können von DMX' Leben und Tod viel über den Umgang mit mentaler Gesundheit lernen. Nicht nur darüber, was seine Sucht oder seine bipolare Störung mit ihm machte, sondern auch wie das Ganze von außen rezipiert wurde.
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Im Gegensatz zu dem, was viele auf den ersten Blick nicht von ihm erwarten würden, thematisierte DMX seine psychischen Probleme und Süchte immer wieder so selbstreflektiert wie wenige andere. Die Frage, die sich stellt, ist nur, ob ihm dabei eigentlich zugehört wurde. Dass ausgerechnet bei DMX mit seiner Vorgeschichte auch nach seinem Tod darüber verhandelt wird, ob er nicht selbst schuld an allem sei, und als wäre ein Leben, das durch das Zutun von Drogen endete, weniger wert, zeigt: Nein, ihm wurde nicht ausreichend zugehört. In den vergangenen Tagen kursierte ein Video von ihm vor bunt blühenden Orchideen, in seiner Hand eine kleine goldene Sprühflasche. Er sagt in diesem Clip: »Als ich zuerst anfing, Orchideen zu züchten, dachte ich, dass sie die teuerste Erde und Lichter zum Blühen bräuchten. Sie starben. Da begriff ich, dass alles, was sie wirklich brauchten, Zeit und Aufmerksamkeit waren.«
Die Geschichte von DMX ist auch deshalb so erdrückend, weil es oft gerade diejenigen sind, die selbst am Boden sind, die anderen Kraft geben. Wie viele Partys wurden gefeiert zu »Party Up« und wie viele von uns haben sich zu »X Gon' Give It To Ya« heiser gegrölt? Wenige Künstler haben es wie DMX geschafft, Blockparty-Sounds in die Klubs weltweit zu bringen und gleichzeitig authentische Hood-Hymnen zu schreiben, die vor allem die Probleme vieler junger, schwarzer Männer in den USA thematisieren.
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Auf »Born Loser« sagt er übrigens ganz zum Schluss: »I was always a winner but I just didn't know it.« Vielleicht hätte man ihn früher wissen lassen sollen, dass er ein Gewinner ist. Was von ihm bleibt, ist jedenfalls ein Gewinn für die Musik – für immer. Ryde in Peace, DMX.