ESC 2023: Fünf Mythen zum Eurovision Song Contest im Faktencheck
Die drei Worte Eurovision Song Contest sind noch gar nicht ganz ausgesprochen, da sind auch schon die ewig gleichen bösen Kommentare zu hören und zu lesen. Die deutschen Gebührenzahler finanzieren den ESC mehr oder weniger allein, die osteuropäischen Länder schieben sich gegenseitig die Punkte zu, die ganze Veranstaltung wird als unpolitisch bezeichnet, ist es aber eigentlich nicht. Fünf Mythen im Faktencheck.
Der ESC ist viel zu teuer! Falsch. Ein Klassiker. Der Kommentar zum verbrannten Geld darf unter keinem Onlineartikel zum ESC fehlen. Aber was ist dran? Nicht allzu viel. 473.000 Euro beträgt die Startgebühr für Deutschland dieses Jahr in Liverpool. Das teilt der Norddeutsche Rundfunk (NDR) auf Anfrage unserer Redaktion mit. Das sei deutlich günstiger als die durchschnittlichen Produktionskosten für andere öffentlich-rechtliche Unterhaltungsshows. „Der Gegenwert ist hoch“, heißt es vonseiten des NDR. Immerhin gebe es dafür mit den beiden Halbfinals und dem Finale rund acht Stunden Fernsehen. Zum Vergleich: Ein einziger Tatort kostet die ARD rund 1,5 Millionen Euro. Hinzu kommen allerdings noch Produktionskosten, die durch die Berichterstattung vor Ort und im Vorfeld entstehen. Hierzu will sich der NDR auf Anfrage nicht äußern. Allerdings fallen diese Kosten bei allen Großereignissen an, auch bei deutlich teureren Sportveranstaltungen.
Osteuropäische Länder schieben sich eh nur die Punkte zu, da haben die anderen Länder keine Chance! Falsch. Einer der hartnäckigsten Mythen der ESC-Kritiker hat durchaus einen wahren Hintergrund. Anfang der 2000er-Jahre trugen sich viele neue Länder, meist aus Osteuropa, in die ESC-Siegerliste ein. Die klassischen Teilnehmer aus dem Westen Europas landeten hingegen überdurchschnittlich oft auf den hinteren Plätzen. Das lag häufig an mittelmäßigen Beiträgen, aber eine gewisse Tendenz einiger Länder, immer die jeweiligen Telefonabstimmungen der Nachbarn zu gewinnen, ließ sich nicht leugnen. Auch deshalb wurden 2009 wieder Fachjurys eingeführt, die als Korrektiv wirken sollten. Seitdem kamen neun der 13 Sieger aus Westeuropa. Dies hat jedoch nur wenig mit der neuen Regel zu tun, größtenteils gewannen die entsprechenden Interpreten auch die Telefonabstimmung. Wenn sich aktuell jemand über Chancenlosigkeit beschweren könnte, wären es eher die osteuropäischen Länder.
Wir können schicken, wen wir wollen. Deutschland ist in Europa einfach zu unbeliebt! Falsch. Okay, werden nun manche sagen. Das mit Osteuropa mag nicht mehr aktuell sein. Aber „wir“, die Deutschen, sind doch so unbeliebt. Deswegen werden wir auch immer Letzter. Zugegebenermaßen, schwer zu widerlegen. Dennoch spricht vieles dagegen. Zum einen die Erfolge: War Deutschland 2010 noch deutlich beliebter, als Lena gewonnen hat? Und 2018, als Michael Schulte Vierter wurde? Zum anderen die allgemeine Fan-Meinung: Keine einzige der katastrophalen deutschen Platzierungen der vergangenen Jahre kam für die Experten überraschend. Immer gab es schon vorher eine große Unzufriedenheit mit der Wahl des Interpreten. Die Wahrheit ist also wohl simpler: Die deutschen Starter waren zuletzt zu schlecht und langweilig, um besser abzuschneiden.
Der ESC ist eine politische Veranstaltung, auch wenn immer das Gegenteil behauptet wird! Richtig. Dieser Punkt geht an die Kritiker. Der ESC versteht sich offiziell als unpolitische Veranstaltung, offen politische Beiträge sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Dem georgischen Beitrag wurde beispielsweise 2009 wegen der wenig subtilen Russland-Anspielung des Titels „We Don’t Wanna Put In“ die Teilnahme verboten. Und dennoch: Der ESC ist keineswegs unpolitisch. Autokratien nutzen den Wettbewerb, um sich in einem positiven Licht darzustellen. Aserbaidschan und Armenien geben sich (auch die Jurys!) ebenso klassisch keine Punkte, wie Griechenland und Zypern immer den jeweils anderen Teilnehmer zufällig für den allerbesten halten.
Auch die beiden jüngsten Siege der Ukraine waren alles andere als unpolitisch. Im vergangenen Jahr gewann Kalush Orchestra natürlich auch, weil sich große Teile Europas solidarisch zeigten. Und schon Jamalas Sieg 2016 hatte mit Politik zu tun, sang sie doch inmitten des Konfliktes mit Russland über die Vertreibung ihrer krimtatarischen Vorfahren durch die Sowjetunion. Die Frage ist nur: Wäre ein wirklich „unpolitischer“ ESC besser? Dann müssten 2023 beispielsweise auch Russland und Belarus teilnehmen dürfen.
Damit ein Lied beim ESC erfolgreich ist, muss es den musikalischen Massengeschmack treffen! Falsch. Ein Mythos, der sich vor allem bei den deutschen ESC-Verantwortlichen in den vergangenen Jahren hartnäckig hielt. Das Ergebnis zeigte sich zuletzt im vergangenen Jahr. Der NDR siebte unter Beteiligung der ARD-Radiowellen all jene Künstlerinnen und Künstler aus, die als nicht radiotauglich galten. Darunter die international erfolgreiche Metalcore-Band Electric Callboy. Im Vorentscheid setzte sich dann Malik Harris durch, landete einen Radiohit und wurde – Letzter. Noch extremer zeigte sich dieser Denkfehler bei seiner armenischen Konkurrentin Rosa Linn. Nach ihrem 20. Platz wurde ihr Lied „Snap“ weltweit im Radio gespielt und schaffte es sogar – absolut ESC-untypisch – in die US-Charts. Auf der anderen Seite gewannen beim ESC ganz unterschiedliche Beiträge: Jazz, Rock, Ethno-Folk, Balladen. Beim ESC kann sich prinzipiell jede Musikrichtung durchsetzen. Es geht darum, innerhalb von drei Minuten einen besonderen Moment zu kreieren mit Charisma und Livequalitäten.