Hans-Jürgen »Dixie« Dörner: Der Beckenbauer des Ostens - DER SPIEGEL

Die Suche nach dem Vornamen ihres Sohnes hätten sich die Eltern Dörner auch sparen können. Dass er in Wahrheit Hans-Jürgen hieß, halten viele für ein Gerücht. Schließlich hieß er doch immer schon »Dixie«, schon als kleiner Steppke.
Der Spitzname ist so alt, dass Dörner selbst schon nicht mehr wusste, warum er ihn trug und wer ihn erfunden hat. Alte Bekannte meinen, sich erinnern zu können, dass Dörner als Kind beim Fußballspielen von anderen Jungens mal gerufen worden sei: »Na komm, du kleener Dixie, kannst ruhig bei uns mitspielen.« Aber ob das die echte Geschichte ist, weiß keiner.
Wie dem auch sei: Dörner war einfach immer Dixie, und Dixie war immer Dörner. Vielleicht auch deswegen, weil die beiden Ds so wunderbar zu den zwei Ds von Dynamo Dresden passten. Schließlich war Dixie Dörner die Verkörperung des Vereins Dynamo Dresden.
Zum ersten Mal in Schwarz und GelbWie tief verbunden Dörner mit diesem Verein ist, wie sehr die Geschichte von Dynamo auch die seine ist, das ist schon mit einer Anekdote aus seinem ersten Ligaspiel belegt. Am 8. September 1968 – Dynamo spielte damals noch zweitklassig in der DDR, das muss man sich vorstellen – feierte er sein Debüt in der ersten Mannschaft.


»Dixie« Dörner als Trainer von Werder Bremen
Foto: Baering / IMAGODer damalige Gegner, Kali Werra Tiefenort, ist längst vergessen, spielt mittlerweile irgendwo in Thüringen in der 9. Liga. Auch das Ergebnis von 4:0 ist verblichen. Aber: Es war das allererste Spiel, das Dynamo in seinen schwarz-gelben Trikots spielte, den Farben, die den Klub dann auch international berühmt machten. Bis dahin waren die Vereinsfarben von Dynamo rot-weiß. Mit dem Auftreten von Dörner änderte sich alles.
Schon in seiner ersten Saison half Dörner maßgeblich mit seinen Toren mit, dass Dynamo das Jammertal der 2. Liga verlassen durfte, seitdem war der Klub stolzes Aushängeschild des DDR-Fußballs. Dörner wurde mit Dynamo schon 1971 das erste Mal Meister, es sollten vier weitere Meistertitel in seiner Kariere folgen.
Dass er der »Beckenbauer des Ostens« genannt wurde, der Libero schlechthin im DDR-Fußball, das hat Dörner auch seinem Teamkollegen Wolfgang Haustein und dessen Pech zu verdanken. Als Haustein sich eine Verletzung zuzog, beorderte Trainer Walter Fritsch Dörner nach hinten und taufte den Angreifer zum Abwehrspieler um. Dörner hatte seine Bestimmung gefunden. Niemand hätte ihm danach diese Position mehr streitig gemacht.
Von diesem Zeitpunkt an trieb er das Spiel von Dynamo vor sich her, der Libero, der freie Mann, derjenige auf dem Platz, der den Überblick behält, der die Spielzüge des Gegners lesen muss und die der eigenen Mannschaft planen darf: Diese Rolle war Dörner auf den Leib geschrieben. Ein Regisseur war er. Elegant am Ball, und keiner, der sich nur in der eigenen Hälfte aufhielt: 65 Tore für Dynamo, das alte Stürmerblut, es pulsierte ab und an noch in dem Abwehrstrategen.


Dixie Dörner in seinem Dynamo-Trikot
Foto: IMAGO / Sportfoto RudelDörner erlebte nicht nur die große Zeit von Dynamo, er prägte sie. Selbstverständlich war er auch 1973 mit dabei, als Dynamo als Landesmeister im Herbst auf Bayern München traf; für beide Vereine, ja, auch für die vom Erfolg so verwöhnten Bayern, ein unvergessener Markstein der Europapokalgeschichte.
Jene Duelle, die allein schon von den Ergebnissen her weit aus der Vergangenheit strahlen: 4:3 für die Bayern im Hinspiel, 3:3 in Dresden im Rückspiel – eine hochpolitische Angelegenheit West gegen Ost noch dazu, der Vorgeschmack auf die Partie ein Jahr später bei der WM in Deutschland.
Bayern-Erfolg am seidenen FadenSepp Maier, Schwarzenbeck, Hoeneß, Gerd Müller gegen Ede Geyer, Reinhard Häfner, Sigmar Wätzlich, Hartmut Schade auf der anderen Seite. Und natürlich der Beckenbauer des Westens gegen den Beckenbauer des Ostens, das Aufeinandertreffen zweier der besten deutschen Fußballer. Das Weiterkommen der Bayern hing am seidenen Faden, am Ende der Saison gewannen sie ihren ersten europäischen Landesmeistertitel, und die große Erfolgsstory von Bayern München nahm ihren Anfang.
Die WM 1974, das Sparwasser-Tor, das Duell von Hamburg, ging an Dörner vorbei, er konnte wegen einer Gelbsucht nicht an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Das machte er zwei Jahre später wett, als er mit der DDR in Montreal die Goldmedaille im olympischen Fußballturnier gewann, der größte Erfolg des DDR-Fußballs.
100 Länderspiele hatte Dörner am Ende, zwei weniger als der DDR-Rekordhalter Joachim Streich, 1985 feierte er seinen Abschied als Nationalspieler, standesgemäß mit einem Sieg, weniger standesgemäß war der Gegner: Luxemburg.
Debakel von Uerdingen miterlebtEin Jahr später beendete er auch seine große Vereinslaufbahn, nach 558 Pflichtspielen, allesamt für seine Schwarz-Gelben. In seinem letzten Spielerjahr musste er als mittlerweile 35-Jähriger noch miterleben, wie sein Team im Europapokal nach einer 3:1-Pausenführung von Bayer Uerdingen 7:3 niedergespielt wurde, auch der ewige Abwehr-Organisator Dörner konnte dem keinen Einhalt gebieten. Das Wunder von der Grotenburg gehört somit auch noch in seine Fußballer-Biografie.


Dörner als Kapitän der DDR-Nationalmannschaft
Foto: IMAGO / MagicEr hätte einen besseren Abschied von der internationalen Bühne verdient, immerhin verhalfen ihm seine Teamkollegen national im letzten Spiel noch zu einem Sieg: Mit dem 2:1 über Union Berlin ging am 24. Mai 1986 die wahrscheinlich größte Karriere eines DDR-Fußballers zu Ende, eine Karriere, die Dörner allein dreimal zum DDR-Fußballer des Jahres werden ließ.
Als Trainer nach der Wende war er weniger glücklich. Bei Werder Bremen gab er – nach zunächst einigen Jahren im DFB-Trainerstab – ein letztlich erfolgloses einjähriges Gastspiel, auch in Zwickau und beim VfB Leipzig hinterließ er keine nachhaltige Wirkung. Zwischendurch versuchte er sich in Kairo bei Al Ahly als Coach, auch dies blieb letztlich eine Stippvisite.
Am Ende kehrte er zu seiner ewigen und alten Liebe zurück, Dynamo Dresden diente er seit 2013 als Aufsichtsrat, längst hatte der Verein ihn zum Ehrenspielführer ernannt. Von Dynamo kam er nie los.
Dynamo Dresden hatte einen Matthias Sammer, einen Ulf Kirsten, einen Ralf Minge, einen Andreas Trautmann und einen Hans-Jürgen Kreische. Aber der größte Spieler der Vereinsgeschichte ist am Mittwoch nach langer schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren gestorben.