Markus Lanz (ZDF): Ein plötzlicher Wandel von Kevin Kühnert im Zweiten
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VonMarc Hairapetian
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Der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert plaudert bei Markus Lanz über Bundeskanzler Olaf Scholz.
Hamburg – Früher hat man es Schleichwerbung genannt. Doch nicht nur bei Markus Lanz im ZDF ist es längst gang und gäbe. Ü50-Zuschauer wissen, was jüngere Semester nicht mal ahnen: Während bei der liebenswerten, aber etwas biederen Quizshow „Rate mal mit Rosenthal“ (1979 - 1986) Kandidaten nicht ihren Arbeitgeber nennen durften, ist das beim smarten Südtiroler längst kein Problem mehr. Und wenn jemand der Gäste zufällig ein Buch geschrieben hat, wird das vom Moderator durch die Bank weg gepriesen.
So auch beim letzten Dienstagabend-Talk (14.12.2021) des an Corona und weiteren Krisen nicht armen Jahres 2021. Diesmal geht es allerdings ausnahmsweise nicht um die Pandemie, sondern zu zwei Dritteln der Sendezeit um den Regierungswechsel mit dem neuen Kanzler Olaf Scholz an der Spitze. Dazu begrüßt Markus Lanz im ZDF nicht nur den Ex-Juso-Chef und jetzigen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der lange Scholz’ Widersacher in den eigenen Reihen war, sondern auch Lars Haider, den Chefredakteur des „Hamburger Abendblatt“. Dieser hat - der geneigte Leser denkt es sich schon - ein Buch geschrieben: „Olaf Scholz. Der Weg zur Macht“. Den Verlag mag jeder, der daran interessiert ist, selbst googeln, denn wir wollen hier nicht in Verdacht geraten, selbst Schleichwerbung zu betreiben.
Markuz Lanz (ZDF): Ein eher moderat geführter SchlagabtauschWährend die zwei Herren der Gesprächsrunde im ZDF mehr (Haider) und weniger (Kühnert) ausführlich Lanz´ Fragen zum Wesen und der politischen Ausrichtung des neuen Regierungschefs der Bundesrepublik Deutschland beantworten, haben die zwei Damen - „taz“-Journalistin Ulrike Herrmann und Ökonomin Prof. Dr. Veronika Grimm, die seit letztem Jahr zum Sachverständigenrat für Wirtschaft gehört - weitgehend Redepause. An sich sollte letztere den Koalitionsvertrag im Hinblick auf seine Finanzierbarkeit analysieren. Doch dazu kommt es nicht. Am Ende der Talkshow liefern sich die beiden Wirtschaftsexpertinnen wenigstens einen - allerdings moderat geführten - Schlagabtausch über die Notwendigkeit staatlicher Investitionen, um die ökologische Wende voranzutreiben: Dafür ist Ulrike Herrmann, dagegen Veronika Grimm.
Markus Lanz: Die Gäste im ZDFDer diesmal etwas fahrige Gastgeber namens Markus Lanz, der seine Gesprächsteilnehmer häufig unterbricht oder immer wieder ein ungeduldiges „o.k.“ einwirft, wenn er etwas verstanden zu haben glaubt, fragt, vielleicht auch, um den Wettbewerb in seinem Debattierclub zu schüren, wie häufig die beiden Scholz-Kenner den frisch gewählten Kanzler schon getroffen hätten. Und da steht es, man glaubt es kaum, 300 zu 100 für Haider gegen Kühnert.
Doch obwohl der Journalist mehr Begegnungen vorweisen kann, als der Partei-Genosse, hätte er erst „nach dem 50. oder 60. Mal nicht gedacht: Wir fangen wieder ganz von vorn an“. Er beschreibt den ehemaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg (2011 - 2018) als schon auf „schmerzhafte Weise schüchterne Person“, die nur sehr wenig vom ihrem Innenleben preisgeben würde.
Kevin Kühnert bei Markus Lanz im ZDF: Scholz ist keiner, „aus dem es heraussprudelt“Kühnert ergänzt bei Markus Lanz diesen Eindruck auf witzige Weise: Scholz sei „nicht einer, aus dem es heraussprudelt“. Im Gegensatz zum Motto der meisten anderen Politiker: „Vielen Dank für die Frage. Ich möchte auf drei andere antworten, um dann zuvor noch einen Schwank aus dem Leben zu erzählen.“ Ulrike Herrmann, die Ex-Kanzler Gerhard Schröder und seinem damaligen engen Vertrauten, dem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, durch die Umsetzung der unbarmherzigen und ungerechten Hartz-Reformen im Nachhinein „die Spaltung des Landes“ vorwirft, nimmt von diesem Vorwurf Scholz aus und darf nach Aufforderung von Lanz die Mystifizierung weiter vorantreiben: „Man weiß nicht, wer Olaf Scholz ist“. Und „Smalltalk“ könne er erst recht nicht. Dein Bundeskanzler - das unbekannte Wesen also.
ZDF-Moderator Markus Lanz stichelt weiter Richtung Scholz: „Es purzelt nichts aus ihm heraus, was ihm gefährlich werden könnte.“ Das bestätigt dessen Biograf Haider: „Er wird jetzt noch vorsichtiger sein.“ Im Vergleich zu seiner Zeit als Generalsekretär Anfang der 2000er-Jahre sei er allerdings „heute ein Entertainer“. Die Kunst, Fragen zu beantworten, ohne sich inhaltlich festzulegen, habe Scholz laut Haider schon lange in seinem Repertoire: „Olaf Scholz hat Gerhard Schröder geschützt“, als dieser den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Scholzomat“ verpasst bekam und seine Arbeit als „Bollwerk“ verstand – eine durchaus verblüffende Parallele zwischen dem ehemaligen und dem aktuellen Generalsekretär. Was Haider sichtlich beeindruckt, ist der Fakt, dass Scholz sowohl das G-20-Debakel als auch die missglückte Kandidatur zum SPD-Vorsitz ohne langfristige Schäden weggesteckt hätte. Sein Fazit in Anbetracht der gewonnenen Bundestagswahl lautet: „Rückschläge machen einen im Zweifel stärker.“
Dann sind sich die zwei Brüder im Geiste an diesem Abend - Haider und Lanz - einig, dass Kühnert lange Zeit der „härteste Gegner“ von Olaf Scholz gewesen wäre, noch vor dem ständig „Abteilung Attacke“ fahrenden Markus Söder von der CSU. Dies hat sich offensichtlich geändert: Kurz vor Mitternacht verteidigt Kühnert Scholz auch gegen den Lieblingsvorwurf aller Journalisten und politischen Gegner, dass er sich aus jeder Frage herauswinde, statt klare Antworten zu geben. Der neue SPD-Generalsekretär Kühnert sagt über Diskussionen mit dem neuen Kanzler: „Ich kriege sehr präzise Antworten.“ Und gibt sich bei der Erläuterung seiner jetzigen politischen Aufgabe unerwartet brav: „Mein Tun und Handeln ist maßgeblich darauf ausgerichtet, dass er erfolgreich ist im Amt.“
Kevin Kühnert bei Markus Lanz im ZDF: Postionen werden korrigiertWow, das sah doch lange Zeit ganz anders aus: Kevin Kühnert war maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass Olaf Scholz nicht SPD-Parteichef wurde. So scheiterten am 30. November 2019 der damalige Finanzminister Olaf Scholz und seine Mitbewerberin Klara Geywitz beim SPD-Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz. Gewonnen hatte das Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die – anders als das Verliererpaar – raus aus der Großen Koalition wollten, der sie die Schuld an den seinerzeit schlechten Umfragewerten für die Sozialdemokraten gaben.
Einer, der sich vor und hinter den Kulissen für Esken und Walter-Borjans eingesetzt hatte, war Kühnert, damals Anführer der Jusos. Doch der 32-Jährige ist dafür bekannt, Positionen zu korrigieren, wenn es seine Karriere fördert. In diesem Dezember wurde Lars Klingbeil – vorbehaltlich einer Bestätigung durch Briefwahl – neben Saskia Esken zum Co-Bundesvorsitzenden der SPD gewählt. Dagegen hat Kühnert, dessen Kumpel Klingbeil ist, natürlich nichts. Auch wenn er jetzt auf Schönwetter mit Scholz macht, pflegt er ein hauptsächlich sachlich-distanziertes Verhältnis zum 63-jährigen Bundeskanzler: „Wie der Mensch Olaf Scholz tickt, das weiß ich nicht, aber das ist für unsere Zusammenarbeit auch nicht so wichtig.“ Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sieht anders aus. (Marc Hairapetian)