Russland und der Ukraine-Krieg – Für ein Russland ohne Putin ...
Russland würde sich ohne Putin politisch nicht wesentlich anders verhalten als aktuell sichtbar, meint Thomas Franke, Journalist und Co-Autor des Buches „Jenseits von Putin“, im SWR2 Gespräch. Dafür fehle eine Bedingung: Eine Aufarbeitung der stalinistischen Herrschaft.
Damit ein Russland ohne Wladimir Putin denkbar ist, brauche es eine Gesellschafts-Reform. Denn alle Institutionen des Landes, die für eine Veränderung nötig sind – Kirche, Schulen, Medien – seien regimehörig. Der Ukraine-Krieg habe das gezeigt. Deshalb genüge es nicht, mit Russen und Russinnen in Kontakt zu bleiben, sondern der Westen muss auf innere Reformen in Russland drängen – vor allem auf eine Aufarbeitung der stalinistischen Ära. Sonst bleibe Russland ein Bedrohungsfaktor in der Weltpolitik, fürchtet Franke.
Auch unter Putin-Kritikern viele Nationalisten„Alles ist mit Plattitüden und Abziehbildern aus der Geschichte behaftet“, gibt Franke aus jahrelanger Erfahrung über die Ansichten der Bevölkerung Russlands zu bedenken. Dabei gebe es in fast jeder Familie Opfer und Täter aus dieser Ära. Selbst unter Putin-kritischen Menschen dächten aber trotzdem viele in Kategorien des nationalen Imperialismus. „Die Opposition denkt die historische Schuld nicht mit“, glaubt Franke. Ausnahmen bestätigten die Regel: „Es gibt nur eine sehr kleine Elite, die sich der Aufarbeitung gestellt hat.“
Kirchen, Schulen und Medien sind auf „Angst getrimmt“Deshalb sei Russlands Gesellschaft apathisch. Das habe sich gezeigt als Putin am 24. Februar 2022 den Angriff auf die Ukraine befahl. „Diese Gesellschaft muss durchreformiert werden, sonst geht es nicht“, sagt Franke zu den Möglichkeiten einer Veränderung und Öffnung des Landes. Das Problem seien nicht zuletzt die Institutionen des Landes, die der Kreml „in Stellung gebracht“ habe: „Kirchen, Schulen, Medien sind auf Angst getrimmt worden“, so Franke wörtlich.
Krieg hat das Denken vieler Russen verändertIm Gespräch mit Russen und Russinnen zu bleiben sei zwar gut – aber nicht hinreichend. Denn durch den Krieg habe sich das Denken vieler Russen und Russinnen verändert. Vielmehr müsse es darum gehen, beim Gegenüber Gedanken anzustoßen und beispielsweise zu fragen: „Warum gibt es keine anständige Geschichtsschreibung bei Euch?“