„Wir müssen Orbán isolieren“: EU-Politiker fordert härtere Gangart – um andere Länder abzuschrecken
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VonAnna-Katharina Ahnefeld
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Polen wächst über sich hinaus, Ungarn kokettiert immer wieder mit Blockaden. Der Russland-Ukraine-Krieg hat Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis. EU-Politiker Daniel Freund (Grüne) geht Viktor Orbán hart an.
Straßburg – Lange galten Ungarn und Polen als ziemlich beste Freunde. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Der eskalierte Ukraine-Konflikt hat das Verhältnis deutlich abkühlen lassen – aber bereits zuvor sorgte Russland für Spannungen in der bilateralen Zusammenarbeit. Während Polen seit Kriegsausbruch mit großem Selbstverständnis auf der Seite der Ukraine steht, agiert Ungarn zurückhaltend bis blockierend.
Entzweien sich Ungarn und Polen? Und was bedeutet der Russland-Kurs von Viktor Orbán für die EU? Darüber spricht die Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA mit dem Europaabgeordneten Daniel Freund (Grüne) bei der September-Plenarwoche des Europäischen Parlaments in Straßburg.
Russland-Ukraine-Krieg: Grünen-Politiker Daniel Freund zu EU-Umgang mit Ungarns Viktor OrbánHerr Freund, Wladimir Putin setzt Energie als Kriegswaffe ein. Was bezweckt er damit und wie können wir uns wehren?
Wladimir Putin spekuliert darauf, uns Europäer auseinanderzutreiben. Wenn er einen Viktor Orbán auf seine Seite zieht, dem es im Zweifel nur um billiges Gas geht, hat Putin gewonnen. Wir können den Diktator im Kreml nur bezwingen, wenn wir als Europäer zusammenstehen und dafür sorgen, dass das verfügbare Gas möglichst solidarisch in ganz Europa verteilt wird. Dafür müssen wir alle gemeinsam sparen und den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen.
Wenn wir gerade von „zusammenstehen“ sprechen: Wie lässt sich denn Ungarns Rolle aktuell in der EU – und im Russland-Ukraine-Krieg – beschreiben?
Könnten Sie diese neue Ebene, die die ungarische Politik betreten hat, genauer erläutern?
Kein anderer Mitgliedstaat hat das Vetorecht bislang derart missbraucht wie Ungarn. Keinem anderen Regierungschef geht es wie Orbán nur noch darum, möglichst viel Geld herauszuholen. Wir wissen ja, dass die EU-Gelder, die noch nach Ungarn fließen, dem Machterhalt von Orbán dienen oder der persönlichen Bereicherung seiner engsten Freunde und Familienmitglieder. Es ist einfach unerträglich, dass die Europäische Union nicht härter dagegen durchgreift. Im Parlament kämpfen wir seit Jahren für den Rechtsstaatsmechanismus, also die Möglichkeit, Gelder einzufrieren, wenn sich ein EU-Mitglied nicht an die Grundwerte hält.
Der ja mittlerweile auch existiert ...
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Ungarn und Polen könnten im Russland-Ukraine-Krieg kaum unterschiedlicher agieren. Das bilaterale Verhältnis ist angespannt, und das, obwohl sich die Länder traditionell nahestehen. Denken Sie, dass Polen und Ungarn getrennte Wege gehen werden, wie bereits der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki andeutete?
Ist Viktor Orbán also pro Putin?
Aktuell entsteht trotzdem der Eindruck, dass Kommissionschefin Ursula von der Leyen milder gegenüber Budapest auftritt – vermeintlich, um geschlossen im Russland-Ukraine-Krieg agieren zu können. Welche Botschaft sendet das an Viktor Orbán?
Jedes Mal, wenn Viktor Orbán sieht, dass das Veto oder sein Poltern funktionieren, jedes Mal, wenn er einfach nur das Geld nimmt, wird er ermutigt, das beim nächsten Mal wieder so zu handhaben. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass sich immer mehr Länder angestachelt fühlen, es Ungarn gleichzutun. Wir haben das in der Vergangenheit mit dem Rechtsnationalisten Janez Janšain Slowenien gesehen. Die große Sorge ist aktuell, wie sich die nächste italienische Regierung verhalten wird. Wenn die anfangen, denselben Kurs zu fahren wie Orbán, stehen uns schwere Zeiten bevor.
Wie kann die EU mit einem Staat, einem Regierungschef umgehen, der sich im Endeffekt völlig von der EU abgewendet hat?
Wir müssen Viktor Orbán isolieren. Das hat über längere Zeit auch ziemlich gut geklappt. Die eigentlichen Fragen stellen sich im Moment in Polen. Wie schafft man es, Polen in diesem Klub der Demokratien zu behalten? Solange Orbán alleine ist, hat er deutlich weniger Macht, im Zweifel sind dann Sanktionen auch ohne ihn möglich. In Polen wünschen sich die Konservativen aktuell mehr Unterstützung, militärische, aber auch finanzielle, um die Geflüchteten gut zu versorgen. Das sollte man ihnen geben. Auch als deutscher Grüner finde ich es besser, Polen Panzer, zu liefern, weil sie viele Panzer an die Ukraine abgegeben haben, anstatt die Augen beim Rechtsstaat zudrücken. Klar muss sein, dass wir die Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit sehr, sehr ernst nehmen und Druck machen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch signalisieren, dass Polen aktuell unsere volle Unterstützung hat. Klar muss sein: Polen darf den Krieg nicht als Deckmantel benutzen, um auch noch die letzten unabhängigen Richterinnen und Richter rauszuschmeißen. Das werden wir nicht tolerieren.
(Interview: Katharina Ahnefeld)
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