Die Persiflage „Sherlock Holmes jagt Dr. Watson“ am Schauspielhaus Bochum
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Erstellt: 12.12.2022, 19:17 Uhr
Von: Ralf Stiftel
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Bochum – Wenn Sherlock Holmes sich in seinen Gedankenpalast zurückzieht, jenes legendäre nur im Kopf des genialen Ermittlers existierende Bauwerk, das ihm hilft, ein enzyklopädisches Wissen jederzeit abrufen zu können, dann steht im Schauspielhaus Bochum einfach nur der Schauspieler Oliver Möller vor dem Vorhang und schweigt. Man sieht dem Detektiv beim Denken zu. Eine der wenigen leisen Pointen hilft, einen Umbau zu realisieren.
Ansonsten ist natürlich Tempo, Tempo, Tempo angesagt bei in „Sherlock Holmes jagt Dr. Watson“. Der Romanheld von Arthur Conan Doyle ist eine ikonische Figur. Die Abenteuer, die er mit seinem Freund und Chronisten Dr. John Watson erlebt, wurden vielfach verfilmt. Einen Popularitätsschub erlebte der Stoff durch die rasant modernisierten Filme der BBC mit Benedict Cumberbatch in der Titelrolle. In Bochum löst der Meister der Beobachtung, Schlussfolgerung und Logik nicht wirklich einen Fall. Das Haus bietet ein Stück „bis Seite 27 nach Arthur Conan Doyle“. Dramaturgin Angela Obst liefert eine mit Gags gespickte Dekonstruktion voller Freude an Albernheiten und an gelegentlichem Lokalkolorit. Robert Gerloff inszeniert den Quatsch effektvoll und unterhaltsam.
Obst hat als Grundlage den zweiten Fall für Holmes genommen, „Das Zeichen der Vier“. Darin geht es um einen versteckten Schatz aus dem kolonialen Indien und einige Morde. Zwischendurch fragt einer der Darsteller allerdings nach dem roten Faden, und den hat Obst zu dem Zeitpunkt längst fallen gelassen. Dieser Abend ist Comedy ohne großen Überbau, auch wenn einige Stichworte der einschlägigen Debatten fallen wie die „alten weißen Männer“ und die „blutige Kolonialgeschichte“. Hier wird mit den Versatzstücken des Genres spielt, dass kein Auge trocken bleibt. Der Bochumer Holmes konsumiert zwar wie sein literarisches Vorbild Kokain. Aber sonst erinnert er eher an Nick Knatterton aus der Comic-Persiflage von Manfred Schmidt. Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, einen Witz zu reißen, und sei er noch so schlicht. Wenn ein Verdächtiger fürchtet, dass ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt ist, dann fragt prompt jemand: „Was macht der eigentlich jetzt?“ Achja, es gibt einen Rapper namens Haftbefehl. Und Lady Di wird gewiss nur erwähnt, damit Elton Johns Song „Candle In The Wind“ angespielt werden kann. Überhaupt trägt die Produktion Züge eines Musicals, immer wieder unterbrechen die Akteure, formieren sich zum Überraschungschor. Da kommen einige Kriminalhits zum Zug, sei es der Schimanski-Song „Faust auf Faust“, sei es Falcos „Kommissar“. Die Darsteller tauchen ebenso gern in die Kinogeschichte, da flimmern echte und gefakte Stummfilm-Szenen über den Bildschirm. Auch das Gangsterpärchen aus Quentin Tarantinos Thriller „Pulp Fiction“ schaut vorbei. Und sogar die Frage, warum Schwedenkrimis so beliebt sind, wird beantwortet.
Genial ist das augentäuschende Bühnenbild von Maximilian Lindner, das von einem Labyrinthmuster überzogen ist und ein Fenster hier, eine Drehtür da, eine Bodenplatte und einen Großbildschirm für Projektionen bietet. An der Seite klebt eine Schreibmaschine an der Wand: Alles ist Fiktion, Kopfgeburt von Dr. Watson.
Oliver Möller als Holmes und Alexander Wertmann als Watson sind ein schönes Buddy-Paar. Der hagere Ermittler, der seine haarscharfen Kombinationen in Hochgeschwindigkeit runterrasselt, und sein schluffiger, etwas naiv und lethargisch wirkender Begleiter, der allerdings überraschende Qualitäten entwickelt. Sie werden kongenial ergänzt durch Friederike Ott als ihre Auftraggeberin Miss Mary Morstan, die zügig zarte Bande zu Watson knüpft. Dieses Trio überzeichnet die Krimi-Ästhetik mit den Stilmitteln der Edgar-Wallace-Filme: Warum subtil, wenn man dick auftragen kann?
Langweilig ist es jedenfalls nicht, wenn Veronika Nickl als begriffsstutziger Inspektor Lestrade und Victor IJdens als Polizeipraktikant in Trenchcoat und mit übergroßen Kopfmasken durch die Ermittlungen torkeln. Die beiden spielen sich souverän durch eine Fülle von Nebenrollen. Nickl verkörpert die bärtigen Schurken, die sich in den Kolonien bereicherten. Sie mimt aber auch die Sprecherin in der eingeblendeten Nachrichtensendung. Und sie sitzt als Holmes‘ arroganter Bruder Mycroft im Schweigeclub vor einer Bildschirmszene voller wuschelköpfiger Doubles eines kürzlich zurückgetretenen britischen Premierministers. Solche Bilder brauchen keine große Geschichte, die sind einfach nur witzig.
So auch die sehr komische Szene, in der IJdens Zwillingsbrüder spielt, die nachts den Schatz suchen. Im Licht der einen Taschenlampe ist er Thaddeus, im Licht der anderen Bartholomäus, und im einen Moment krächzt er mit Gollums Stimme gierig „meinnn Schatz“, im anderen antwortet er leichtsinnig mit Songtiteln der Neuen Deutschen Welle vom „Goldenen Reiter“. Ein Kabinettstück.
Die assoziative, sprunghafte Dramaturgie sorgt für eine große Pointendichte, die am Ende fast überfordert. Ein wenig Linie, eine leitende Idee über das Persiflieren hinaus hätte nicht geschadet. Spaß macht die Produktion trotzdem. Großer Beifall.
14., 25., 31.12., 8., 15.1.2023
Tel. 0234/ 3333 5555, www.schauspielhausbochum.de