Aufregerthemen Schliessen

Heide Simonis: Vorbild für eine ganze politische Frauengeneration

Heide Simonis Vorbild für eine ganze politische Frauengeneration
Seit dem Jahre 2005, als sie durch eine*n Verräter*in aus den eigenen Reihen als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein gestürzt wurde, hatte die damals 60-jährige Heide Simonis kein politisches Amt mehr. Und doch blieb sie – weit über die SPD

Seit dem Jahre 2005, als sie durch eine*n Verräter*in aus den eigenen Reihen als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein gestürzt wurde, hatte die damals 60-jährige Heide Simonis kein politisches Amt mehr. Und doch blieb sie – weit über die SPD hinaus – vielen Menschen präsent. Für eine ganze politische Frauengeneration war sie ein Vorbild. Viele Jahre lang kämpfte sie gegen schwere Krankheiten, zuerst gegen Brustkrebs, dann gegen Parkinson. Diesen Kampf verlor sie wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag. Immer sprach sie offen darüber, wollte dennoch nicht über Krankheiten definiert werden und verbat sich jedes Mitleid.

Der „Heide-Mörder“ ist bis heute unerkannt

In der Politik war die Diplom-Volkswirtin Heide Simonis oft „die Jüngste“ oder „die Einzige“, zum Beispiel 1976 die jüngste Bundestagsabgeordnete, als sie für die SPD ins Parlament in Bonn einzog. Lange Zeit war sie die einzige Frau im Haushaltsausschuss, dann die erste Landesfinanzministerin. Erste Ministerpräsidentin wurde sie, als Björn Engholm in der Folge des Barschel-Skandals zurücktrat und Heide Simonis an seine Stelle rückte. Mehr als elf Jahre war sie Chefin des nördlichsten Bundeslandes – und das Ende war schrecklich.

Millionen Menschen saßen an jenem 17. März 2005 vor den Fernsehern und bekamen mit, wie die Ministerpräsidentin auf offener Bühne demontiert wurde: Vier Wahlgänge hielt  sie durch, und immer fehlte ihr eine Stimme. Bis heute ist es ein Geheimnis, wer aus den eigenen Reihen zum „Heide-Mörder“ wurde und damit weit über Schleswig-Holstein hinaus auch die SPD in eine tiefe Krise stürzte.

Von den Männern voll akzeptiert

Vielleicht waren die glücklichsten Jahre der Vollblutpolitikerin und glänzenden Debattenrednerin jene in Bonn. Sie hatte eine große Fan-Gemeinde, weil sie schlagfertig war, viel Humor hatte und Wärme ausstrahlte. Wer Unterstützung brauchte, der bekam sie auch von ihr. „Ja, ja, das Helfersyndrom der Heide Simonis“, hat sie das einmal ironisch kommentiert. Vor allem aber war sie überaus kompetent und im wichtigen Haushaltsausschuss deshalb auch von den Männern – und dieser Ausschuss war eine Männerdomäne – voll akzeptiert. „Ich bin nicht ängstlich, ich bin eine Kämpfernatur,“ war ihre Erklärung.

Von Anfang an fiel sie auf im Bundestag. Die SPD nutzte ihr rhetorisches Talent und ihre Schlagfertigkeit in Debattenreden. Wenn sie in ihren – damals noch absolut unüblichen – eleganten Hosenanzügen am Rednerpult stand, gab es keine Langeweile im Plenum. Sie war in jenen Jahren Mittelpunkt einer fröhlichen Clique von SPD-Parteilinken, zu denen ab 1983 auch einige Grüne stießen. Gemeinsames zweites Wohnzimmer war eine Kneipe am Rande des Regierungsviertels, wo nicht nur fröhlich gefeiert, sondern auch gekungelt wurde.

Ein paar flapsige Sätze führen zum Rücktritt von Willy Brandt

Ein Abend in dieser Kneipe führte zur damals schlimmsten Krise im Leben der jungen Abgeordneten. Die Truppe grollte dem von allen verehrten Parteivorsitzenden Willy Brandt, weil er eine Frau zur Parteisprecherin machen wollte, die keine Ahnung vom Innenleben der SPD hatte und der Partei nicht einmal angehörte. Alle schimpften hinter vorgehaltener Hand, nur Heide Simonis lud ihren Frust mit ein paar flapsigen Sätzen vor einer Fernsehkamera ab – ohne sich viel dabei zu denken. Als Willy Brandt kurz danach zurücktrat, galt Heide Simonis als Vatermörderin. Um sie herum war Eiseskälte.

Für sie war es eine Erlösung, als Björn Engholm sie im Wahlkampf in Schleswig-Holstein gegen Uwe Barschel als Finanzfachfrau in sein Schattenkabinett holte. Nach einem von der Barschel-CDU extrem schmutzig geführten Wahlkampf gewann die SPD, Engholm wurde 1988 Ministerpräsident und Heide Simonis seine Finanzministerin. 1993 trat Engholm zurück, zermürbt von ständigen Vorwürfen, die aus dem Opfer des 1988er Wahlkampfes einen Täter machen wollten.

Mehr als elf Jahre regierte Heide Simonis das Land, und sie hätte das gerne noch weitere Jahre getan. Kurz vor den Wahlen im März 2005 sagte sie in einem Interview: „Manche übergehen den Moment, wo es noch gut ist. Sie gehen erst, wenn alle sagen: Gott sei Dank, jetzt haben wir das geschafft. Da wird man wohl ein bisschen auf sich aufpassen müssen. Aber jetzt steht das noch nicht an.“

Erste Ehrenbürgerin von Schleswig-Holstein

Gestürzt durch eine*n anonyme*n Verräter*in, brauchte sie lange Zeit, um sich wieder zu finden. Vergessen wurde sie nicht, denn sie war ein ganz besonderer Mensch in der Politik: Sie hat immer klar ausgesprochen, was sie für richtig hielt. Lustvoll stürzte sie sich in jeden Streit um die Sache. Sie war ehrlich, zu sich selbst und in ihren politischen Ämtern. Und sie war eine gute Ministerpräsidentin.

2014 wurde sie von Ministerpräsident Torsten Albig zur ersten Ehrenbürgerin Schleswig-Holsteins gekürt – eine Ehre, die bis dahin nur Männern zuteil wurde. Da rollten bei ihr ein paar Tränen, als Albig ihre Verdienste aufzählte: Ihr sei zu verdanken, dass Schleswig-Holstein das führende Windland der Republik und ein florierender Gesundheitsstandort geworden sei. Und – das war ihr vielleicht wichtiger – sie habe das Land sozial gerechter, vielfältiger und selbstbewusster gemacht.

Die höchste Auszeichnung der Partei erhielt sie vor fünf Jahren an ihrem 75. Geburtstag. Schon damals zwang die Krankheit sie dazu, dass sie diesen Tag nur im kleinen Kreis in ihrer Kieler Wohnung feierte. Der damalige SPD-Bundesvize Ralf Stegner überreichte ihre die Willy-Brandt-Medaille. Ihren 80. Geburtstag am 4. Juli konnte sie nicht mehr mitfeiern.

Diesen Text hat Renate Färber-Husemann vor ihrer schweren Erkrankung und ihrem Tod geschrieben. Wir veröffentlichen ihn mit winzigen Aktualisierungen posthum.

Nachrichtenarchiv
  • ING
    ING
    Tagesgeld: So reagieren andere Banken auf die ING-Erhöhung
    5 Apr 2023
    6
  • Biathlon Oslo
    Biathlon Oslo
    Biathlon in Oslo heute: Übertragung im Fernsehen und Live-Stream ...
    18 Mär 2023
    2
  • Dallas Mavericks
    Dallas Mavericks
    NBA News: Liga leitet Untersuchung gegen Dallas Mavericks ...
    8 Apr 2023
    1
Die meist populären Shots dieser Woche