ZDF-Vierkampf „Klartext“: Punktsieg für Merz, Weidel legt sich mit ...
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Im Wahlkampf wird häufig genug geredet, ohne wirklich etwas zu sagen. Die Politik ist das Geschäft des Ungefähren. Etwas mehr Klartext würde da manchmal guttun. Welch glücklicher Umstand, dass das ZDF am Donnerstagabend genau das im Angebot hatte, zumindest legte der Sendungstitel das nahe: „Klartext“. Zehn Tage vor der Bundestagswahl trommelte das Moderatorenduo Bettina Schausten und Christian Sievers die vier Kanzlerkandidaten von SPD, Grünen, AfD und Union zusammen. Ihnen im „Wahlforum“ gegenüber: 120 Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem dicken Strauß brennender Fragen.
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Der Versuchsaufbau hatte natürlich seine Schwächen. Olaf Scholz, Robert Habeck, Alice Weidel und Friedrich Merz wurden nacheinander in die Manege geführt, bekamen jeweils 35 Minuten. Man begegnete sich lediglich bei der Staffelübergabe, was dann peinliche Momente hervorrief. „Gehen Sie sich sonst aus dem Weg?“, fragte das ansonsten gut aufgelegte Duo Schausten/Sievers, als Habeck die Bühne für Weidel räumte. „Man begegnet sich“, sagte Weidel, Habeck vervollständigte: „Und geht aneinander vorbei.“ Nun, wäre das auch geklärt.
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Wahlkampf im TV
Der Winterwahlkampf 2025 findet mehr denn je in Talkshows statt. Unser Autorenteam analysiert bis zur Wahl regelmäßig, welche Politiker die TV-Bühnen am effektstärksten bespielen, welche Rededuelle Substanz haben und was Sie als reine Show verbuchen können.
Unterm Strich standen am Ende fast zweieinhalb Stunden Sendezeit, etliche Längen, mehr oder weniger beantwortete Fragen, erstaunlich viele Gegenfragen, vor allem von AfD-Kanzlerkandidatin Weidel, unterm Strich aber, fast mit Ansage, zu wenig Klartext. Aber versuchen konnte man es ja mal.
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Als Sieger nach Punkten durfte sich schließlich wohl der letzte Gast des Abends fühlen, CDU-Chef Friedrich Merz. Nachdem er sich, von der Wackelkamera fein in Szene gesetzt, aus dem Auto durch den dichten Berliner Schnee bis ins Studio gekämpft hatte, profitierte Merz nicht nur davon, die Kraft des letzten Eindrucks auf seiner Seite zu haben. Er lieferte auch den rhetorisch überzeugendsten Auftritt ab. Merz, nach dem Tabubruch der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD im Bundestag zurück in der Vorhand, machte vor allem beim großen geopolitischen Thema dieser Tage einen staatsmännischen Eindruck: dem Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Machthaber Wladimir Putin, einem möglichen Friedensplan über die Köpfe der Ukrainer und der Europäer hinweg.
Merz erwartet eine „brutal harte Ansage“ der USA auf Sicherheitskonferenz
„Die Zeitenwende“, sagte Merz, gefragt nach seiner Sicht auf die neuesten Entwicklungen, „kommt an diesem Wochenende.“ Und spannte damit clever den Bogen von der viel beachteten Rede von Bundeskanzler Scholz kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine mit dem, was er, Merz, für Freitag erwarte. Es werde eine „brutal harte Ansage der Amerikaner bei der Münchner Sicherheitskonferenz“ geben. Er habe erste Hinweise bekommen, dass Trumps Vize J.D. Vance eine äußerst konfrontative Rede halten werde. „Morgen“, sagte Merz, „wird ein sehr wichtiger Tag.“ Er selbst habe längst kommen sehen, dass die Amerikaner Europa dazu drängen werden, selbst für seine Sicherheit aufzukommen.
In der halben Stunde zuvor präsentierte sich Merz zugewandt, in Sachfragen abgeklärt. Auch wenn sein Versuch, einem Sohn italienischer Einwanderer weiszumachen, dass die Postfaschisten von Giorgia Meloni im Vergleich zur AfD gute Europäer seien, durchaus kühn war.
Als erster aus dem Quartett hatte sich der Bundeskanzler den Fragen des Publikums gestellt. Und die Sendung mit Ausführungen zum mutmaßlichen Anschlag in München durch einen abgelehnten Asylbewerber eröffnet. Eine Frau aus Solingen, Schauplatz einer islamistischen Messerattacke im Spätsommer 2024, hatte Scholz gefragt, ob er nicht eine moralische Mitschuld trage, wenn sich nicht massiv etwas ändere. Scholz sprach von einem furchtbaren Geschehen, jede einzelne Tat sei unerträglich, man gehe jetzt nicht zur Tagesordnung über – das alles hatte man schon etwas zu oft gehört.
Scholz preist seine Führungskraft
Danach kriegte Scholz aber zumindest inhaltlich die Kurve, hatte seine Positionen bei der Unterstützung der Ukraine, beim Wohnungsbau, bei klimaneutraler Industrieproduktion, bei E-Mobilität beisammen. Nur: Nahbar wirkte das reichlich selten. Sein Selbstlob, etwas „wirklich Wichtiges hingekriegt zu haben“, nämlich das Land durch die schwerste Krise seit Gründung der Bundesrepublik zu lotsen, garniert mit dem Satz: „Das ist Führungskraft, wie man sie höher nicht haben kann“, zündete beim Publikum überhaupt nicht. Trotzdem schloss der Kanzler: Er spiele auf Sieg, er wolle gewinnen. So aber wird es schwierig.
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Kanzler Olaf Scholz.
Quelle: Getty Images
Nach Scholz übernahm Habeck das Zepter. Shakehands mit dem Kanzler, lässige Körperhaltung – der Grünen-Kanzlerkandidat schien gewillt und vielleicht auch zuversichtlich, die Leute mit seiner einnehmenden Art auf seine Seite zu ziehen. Aber so recht in Tritt kam Habeck dann überraschenderweise nicht. „Demokratie ist kein Zuschauersport“, antwortete er einem Publikumsgast, der fragte, warum er wählen gehen solle. „Wenn sich die Menschen zurückziehen, dann ist es vorbei mit Deutschland.“ Guter Auftakt, aber im Anschluss wurde Habeck in seinen Ausführungen zu kleinteilig, zu technisch.
Habecks Gnadenpunkt
Den größten Zuspruch bekam Habeck indes ausgerechnet beim Thema des Stopps der Kaufprämie für E-Autos, den er als Wirtschaftsminister mitverantwortete. „Hätten wir gewusst“, sagte Habeck, „welche fatalen psychischen Effekte das haben würde, hätten wir es vielleicht anders gemacht.“ Dafür gab es Lob von einem Unternehmer, der sich zuvor beklagt hatte, die Energiewende sei nicht kalkulierbar: „Dass Sie einen Fehler zugegeben haben, rechne ich Ihnen hoch an.“ Dafür gab es einen Gnadenpunkt vom Publikum.
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Robert Habeck spricht mit Zuschauerinnen und Zuschauern.
Quelle: Michael Kappeler/dpa- Pool/dpa
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Anschließend war Weidel an der Reihe. Und legte, was sich selbst mit viel Wohlwollen nicht anders sagen ließe, einen desaströsen Auftritt hin. Weidel startete mit einem für sie dankbaren Thema, dem mutmaßlichen Anschlag in München, dem sie gleich mal das „mutmaßlich“ strich, der Mann wäre zudem mit einer AfD-geführten Regierung niemals ins Land gekommen. Den Fragestellern begegnete sie zunächst interessiert zuhörend, nachfragend, sprach von einer „Willkommenskultur für qualifizierte Leute, die hier Steuern zahlen“. Um dann die Kontrolle zu verlieren.
Dem Chef einer Altenpflegerin aus Georgien, deren Asylantrag abgelehnt wurde, und der sagte, Weidels Antworten reichten ihm nicht aus, antwortete die AfD-Kanzlerkandidatin: „Da müssen Sie einfach nur unser Programm lesen.“ Auf die Replik, er habe es gelesen und es sei zum Thema Pflege eine absolute Enttäuschung, legte Weidel los: „Ich habe den Eindruck, dass Sie mir nicht zugehört haben. Dass sie das Wahlprogramm nicht gelesen haben. Und dass Sie das, was Sie sagen, auswendig gelernt haben.“ Dem Publikum sagt sie an anderer Stelle: „Regen Sie sich nicht so auf. Das wäre großartig.“
Am Ende lief Weidel in Form und Inhalt auf Platz vier ein. Solange ihre AfD in den Umfragen auf Platz zwei liegt, wird es ihr herzlich egal sein. Am Ausgang der Wahl, das stand vorher zu erwarten, wird dieser Abend ohnehin nicht viel ändern. Unterhaltsam war‘s trotzdem. Auch wenn das mit dem Klartext ein frommer Wunsch war.